Pfadfinderdienste im Warschauer Aufstand 1944Der folgende Artikel befasst sich mit dem Warschauer Aufstand von 1944. Neben einem kurzen geschichtlichen Abriss werden die Leistungen der polnischen Pfadfinder für den Aufstand und den Postdienst im Untergrund dieser Zeit beschrieben.
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges waren die Deutschen Streitkräfte so gut wie besiegt und die Alliierten standen an den Grenzen des Großdeutschen Reiches. Im Osten war „Stalingrad“ die entscheidende Wende, im Westen die Invasion in der Normandie und in Italien das Vordringen der Alliierten im Süden, die das Bild prägten. Auch das Attentat auf Hitler zeigte, dass es Menschen gab die versuchten, dieses unheilvolle Regime zu beseitigen.
Hitler und Stalin hatten nach einem Blitzsieg 1939 „Polen“ in mehrere Teile zerschlagen. Das Gebiet im Westen wurde in das Deutsche Reich integriert. Der Mittelteil mit der Hauptstadt Warschau wurde das Generalgouvernement unter deutscher Führung. mit dann Krakau als Hauptstadt bestimmt und der Ostteil jenseits des Flusses Bug wurde von den Sowjets besetzt. Nach Hitlers Angriff auf die Sowjetunion mussten diese jedoch das Gebiet wieder räumen. 1944 stand nun die Rote Armee wieder in Polen, hatte sogar schon in Lublin eine provisorische Gegenregierung installiert.
Nazi-Deutschland hatte in Polen fürchterlich gewütet.reckliche Exzesse wie das Massaker von Wola hatten stattgefunden, die heute unerklärbar und unentschuldbar sind – was auf ewig ein Makel auf alle Deutschen wirft. Aber auch die Gräueltaten der Russen waren eingebrannt in den Seelen und Köpfen aller Polen, von denen das Massaker von Katyn nur ein furchtbarer Beleg ist.
Abbildung 1: An die Wand gemaltes Kennzeichen der „AK“ Unaufhörlich bewegte sich die Rote Armee auf Warschau zu, hatte sogar die Weichsel im Süden schon überschritten. Jetzt sahen die gepeinigten Polen die Chance gekommen, sich gegen die deutsche Besatzung zu erheben. Die AK (Armia Krajowa) Heimatarmee, die sich schon gleich nach der polnischen Niederlage unter Führung von General Graf Tadeusz Komorowski, kurz „Bor“(Wald) genannt, organisiert hatte, sollte den minutiös geplanten Aufstand anführen. Auch die Pfadfinder, die unter Hitler nicht nur verboten waren, sondern deren Führer verfolgt und getötet wurden, waren Teil dieser AK und sogar in eigenen Regimentern zusammengefasst, in die sogenannten „Grauen Reihen“. Die bekanntesten Pfadfinder-Regimenter waren „Parasol“ und „Zoska“. Alle Mitglieder hatten einen Decknamen.
Am 1. August 1944 war der Tag gekommen. Es sollte ein Überraschungsangriff werden, doch die deutsche Besatzung in Warschau war vorgewarnt und hatte sich gewappnet. Trotzdem gelang es den Aufständischen, große Teile der Innenstadt zu erobern. Darunter befanden sich aber keine wichtigen strategischen Punkte und keine der Brücken über die Weichsel. Auch der Jerusalem Boulevard, welcher quer durch die Innenstadt zur Weichsel führte, war von den deutschen Kräften beherrscht und spaltete die Innenstadt in zwei Teile, in Nord und Süd und unterbrach jegliche Verbindung zwischen den Stadtteilen.
Die Warschauer Bevölkerung war von dem Zeitpunkt der Erhebung überrascht worden. Sie waren arbeiten oder unterwegs und hatten keine Möglichkeit mehr, sich mit ihren Lieben in Verbindung zu setzen. So wussten sie nicht, wie es um ihre Familien und Freunde bestellt war.
In dieser Not hatte der Pfadfinderführer Kazimierz Grenda die Idee, mit Hilfe „seiner“ Pfadfinder eine Notpost im südlichen Teil der Innenstadt aufzubauen. Dazu wollte er aber die Zustimmung sowohl der Pfadfinderführung als auch der zivilen Verwaltung einholen, die jedoch im nördlichen Teil ansässig waren. Über Abwasserkanäle überwand Przemyslaw Gorecki diese lebensgefährliche Straße und erhielt die gewünschte Zustimmung – sogar für alle von der AK eroberten Stadtteile. Die vorgesehene eigene AK-Feldpost funktionierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Mit Feuereifer machten sich die Pfadfinder an die Arbeit. Neben der Hauptpost waren acht Anlaufstellen, die als „Postämter“ dienen sollten, geplant (sieben wurden verwirklicht) und an verschiedenen Stellen sollten 40 alte Briefkästen angebracht werden. Besondere Bestimmungen für die Benutzung dieser „Pfadfinderpost“ wurden ausgearbeitet. Die Nachrichten sollten:
* klein und leserlich geschrieben sein,
* in polnischer Sprache verfasst sein und 25 Worte nicht überschreiten,
* keine Fremdwörter und Abkürzungen enthalten,
* mit leserliche Anschrift versehen sein mit Absenderangabe bei Privatpersonen, Militärpost jedoch ohne Absender.
* Briefe müssen unverschlossen sein und unterstehen einer Zensur.
* Der Postdienst ist kostenfrei. Sachspenden (Bücher, Zeitschriften)wurden angenommen.
Zum Kennzeichnen der Poststücke wurden acht (+ zwei) verschiedene Stempel benutzt, gefertigt aus Lino, Holz, Gummi und Metall – alle mit der Pfadfinderlilie im Bild. Die ersten davon waren aus Linoleum geschnitzt und nicht aus einer Kartoffel – wie man früher irrtümlich angenommen hatte. Trotzdem werden sie immer noch die legendären „Kartoffelstempel“ genannt.
Abbildung 2: Der legendäre „Kartoffelstempel“ Eine Zensur war notwendig, weil man sicher gehen wollte, dass bestimmte Informationen nicht in Feindeshand gerieten. Dieser Dienst wurde von Pfadfinder-Eltern, Ehefrauen und Geschwistern durchgeführt und entsprechend gekennzeichnet. Nachdem am 20. August die Pfadfinderpost und Militärpost zusammengelegt wurden, gab es noch die militärische Zensur.
Somit huschten und schlichen Buben und Mädchen an Barrikaden vorbei, von Keller zu Keller, wo man Durchgänge geschaffen hatte oder über die vielverzweigten Abwasserkanäle, um ihre so wichtige und sehnsüchtig erwartete Post auszuliefern. Als Erkennungszeichen diente eine rot-weiße Armbinde mit aufgenähter Pfadfinder-Lilie und den Initialen „S.P.“ (Hilfsdienst). Laut Bericht des Polnischen Pfadfindermuseums sollen 80 Pfadfinder/-innen bei diesem Dienst ihr Leben verloren haben. Während dieser zwei Monate des Aufstandes sollen von der Pfadfinderpost und Feldpost, insgesamt 116317 Poststücke „behandelt“ worden sein, von denen aber nicht alle zugestellt werden konnten, einfach weil sich die Adressaten weit außerhalb der befreiten Zonen befanden oder nicht anzutreffen waren.
Die „Laczniczkas“, Mädchen aus den Reihen der AK, waren bekannt für ihre Tollkühnheit. So machte der Ausdruck die Runde: „Wo der Teufel selbst nicht mehr durchkommt, sende eine Laczniczka, die schafft es!“. Achtmal und mit Postgut beladen durchschwammen einige sogar die Weichsel.
Der Großteil dieser Briefe ist verloren gegangen, zum einen wegen der Zwangs-Evakuierung der Bevölkerung nach der Kapitulation und der nachfolgenden Zerstörung der Stadt, zum anderen weil diese Nachrichten oft nur auf einem Stück Papier geschrieben wurden. Was jedoch übrig geblieben ist, sind heute historische Dokumente und gesuchte, wertvolle Sammelobjekte.
Abbildung 5: Briefumschlag der Pfadfinderpost vom „Warschauer Aufstand 1944“ mit dem Rundstempel des Hauptpostamtes, dem rechteckigem Zensurstempel und länglichem Bestätigungsstempel einer Sachspende.Die Rote Armee hatte am 13. September das rechte Weichselufer erreicht und die Vorstadt Praga eingenommen. Am 14. September kam über Radio der Aufruf des kommunistischen Komitees: „Die Hilfe kommt, kämpft weiter! Die 1. polnische Division ‚Kosciuszko‘ ist in Praga eingetroffen“. Bis auf einen kläglich gescheiterten Angriff über die Weichsel wurde nichts unternommen, um die AK im Kampf zu unterstützen.
Am 2. Oktober nach 63 Tagen Kampf streckten die letzten Aufständischen die Waffen. Am 4. Oktober begann für die AK-Abteilungen der Weg in die Gefangenschaft. Über 50 000 Männer, Frauen und Jugendliche landeten in den Arbeitslagern und KZ´s, wie Auschwitz, Groß-Rosen, Ravensbrück. Viele von ihnen erlebten nicht mehr das nahe Kriegsende. Drei Tage danach musste die verbliebene Bevölkerung die Stadt verlassen. Noch unter den Augen der nur mit Bündeln, Taschen und Kartons abziehenden Massen wurde Warschau geplündert – die größte Einzelplünderung des gesamten Weltkrieges. Nach einem vom Reichsführer-SS Himmler übermittelten Führerbefehl wurde zur Strafe die „vollständige Zerstörung Warschaus“ angeordnet.
Die Deutsche Armee musste die Front jedoch immer weiter zurückziehen. Somit konnte die Rote Armee am 12. Februar 1945 auf dem Weg nach Berlin den Trümmerhaufen Warschau „befreien“.
Nach Kriegsende war für die langsam aus den deutschen Lagern zurückgekehrten Mitglieder der ehemaligen Aufständischen und somit auch der „Grauen Reihen“ die Leidenszeit noch lange nicht beendet. Denn jetzt wurden sie von der nun kommunistischen polnischen Regierung verfolgt und diskriminiert. Sie galten als verantwortlich für die Zerstörung Warschaus. Stalin hatte sich schon am
16. August 1944 von diesem „Warschauer Abenteuer“ distanziert und die Führer der AK als „machthungrige Verbrecher“ bezeichnet. Der Aufstand war nicht nur gegen die deutsche Besatzung gerichtet, sondern indirekt auch gegen den Erzfeind Russland.
Als bei den Aufräumarbeiten aus dem Schutt im Keller des Hauptpostamtes drei Postsäcke mit Briefen aus der Zeit des Aufstandes gefunden wurden, versuchte man die Adressaten ausfindig zu machen und die Briefe auszuliefern. Der verbliebene Rest gelangte an einen Sammler, der diese Poststücke mit seinem Signum „Kr. JULIEM“ kennzeichnete. Noch im Jahre 1956 wurde im Schutt das Skelet eines Pfadfinders ausgegraben, zusammen mit seiner Umhängetasche der Pfadfinderpost.
Erst nach Stalins Tod 1953 durften die AK-Kämpfer wieder ihren Kopf erheben und langsam die ihnen gebührende Anerkennung erfahren. Eine ganze Reihe von ihnen war dies jedoch nicht mehr vergönnt, sie waren in den Gefängnissen umgekommen oder standrechtlich erschossen worden.
Heute wird die Erinnerung an den „Warschauer Aufstand“ in ganz Polen hoch gehalten. Jedes Jahr schrillen zum Gedenken in Warschau am 1. August um 17 Uhr die Sirenen. Die Menschen pilgern dann zum Friedhof „POWALZKI“, wo die Gefallenen der AK ihre letzte Ruhestätte gefunden haben und 105 Birkenkreuze für die Toten des Bataillons „Zoska“ aufgestellt wurden.
Nach der Wende wurde ein monumentales Denkmal aufgestellt und ein eigenes Museum eröffnet das dem „Warschauer Aufstand“ gedenkt.
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