Vor 70 Jahren erreichte die Sudetenlandkrise ihren Höhepunkt. Am 21. Sept. 1938 wurden die ersten Gebiete geräumt, tschechische Truppen nahmen nahezu alle Wertgegenstände mit. Dies war die Geburtsstunde der Sudetenland-Philatelie!
Aus Anlaß zu diesem runden Jubiläum lesen Sie nachfolgend eine aktuelle Kurzbeschreibung und Einführung in dieses spannende und noch wenig bekannte Sammelgebiet.
70 Jahre Sudetenland-BriefmarkenEiner der schönsten Landstriche Mitteleuropas ist das Sudetenland. Namensgeber sind die Sudeten, die sich in mehrere Teilgebirge vom Elbsandsteingebirge bis zur Mährischen Pforte ziehen. Deutschland, Polen und Tschechien teilen sich heute dieses schöne Gebiet.
Unter Sudetenland versteht man aber nicht nur das Gebiet der Sudeten, sondern das gesamte Grenzgebiet der 1918 neu gegründeten Tschechoslowakei zum Deutschen Reich und zu Österreich, in dem ca. 3,2 Mill. Sudetendeutsche lebten. Bis Ende des I. Weltkrieges war es Teil des Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn; interkulturell und ein Schmelztiegel der Kulturen. Aus diesem Blickwinkel ist man fast geneigt Sudetenland-Briefmarken (tschechische Urmarken mit deutschem Aufdruck) als frühe europäische Vorläufer zu betrachten. Allerdings dachte damals niemand an ein vereintes föderatives Europa. Im Gegenteil, die tatsächliche Situation entsprach eher einem Pulverfass. Der erstarkte Nationalismus auf tschechischer wie auf deutscher Seite führte letztlich zur Sezession der deutschsprachigen Gebiete.
Vor 70 Jahren, im September 1938, erreichte die Sudetenlandkrise ihren Höhepunkt. Die aus dem Sudetenland abziehenden tschechischen Truppen nahmen alle Wertgegenstände, Briefmarken und teilweise Stempel mit. Die Reichspost war nach dem Münchener Abkommen noch nicht zuständig. Dennoch musste der Postverkehr aufrecht erhalten bleiben.
Für wenige Tage war das Sudetenland völkerrechtlich sogenanntes Niemandsland und staatenrechtlich ein autonomes Staatengebilde. Souveränitätsträger war die Sudetendeutsche Partei (SdP). Diese organisierte eiligst den Postverkehr. Bis zum Eintreffen genügender Bestände deutscher Briefmarken wurden vorgefundene tschechische Markenrestbestände überdruckt und am Postschalter verkauft. Eine überstürzte, unvorhersehbare weltpolitische Veränderung war Auslöser für die Ausgabe dieser Postwertzeichen – letztlich aus der Not geboren.
Da nur wenige vorgefundene Restbestände überdruckt wurden und die Frankaturgültigkeit nur wenige Tage bestand, gehören amtliche Sudetenland-Briefmarken zu den größten Seltenheiten der Philatelie. Wie viele dieser Briefmarken Krieg und Vertreibung überstanden, lässt sich heute nur noch erahnen.
Amtliche AusgabenEs gibt nur sechs amtliche Ausgaben des Sudetenlandes: Asch, Karlsbad, Konstantinsbad, Niklasdorf, Reichenberg-Maffersdorf und Rumburg. Die in anderen Orten überdruckten Marken waren von der SdP nicht autorisiert. Deshalb sind diese Ausgaben nur sogenannte „private Erinnerungsdrucke“ ohne postalische Bedeutung.
Nachfolgend wird auf einige Besonderheiten der amtlichen Ausgaben eingegangen:
AschMit nur 5 Marken ist dieses Gebiet sehr überschaubar und speziell für Einsteiger geeignet:
Beim Überdrucken der MiNr. 1 reichten die fetten Lettern nicht für einen ganzen Bogensatz, deshalb wurde die unterste Bogenzeile mit dünnen Ziffern bestückt. So entstand die MiNr. 1II mit einer deutlich geringeren Auflage als die MiNr. 1 I. Senkrechte Zusammendrucke der MiNr. 1 I und 1 II sind sehr rar.
Interessant ist auch die MiNr. 4, da hier die ersten Bogen versehentlich mit einer falschen Druckfarbe (schwarz statt rot) überdruckt wurden. Aus diesem Versehen resultierte die MiNr. 4b mit einer Auflage von nur 100 Stück.
In geringer Stückzahl kommen auch Doppeldrucke, Kopfsteher, seitenverkehrte Aufdrucke und stark verschobene Aufdrucke vor. Aufdrucke, die so extrem verschoben sind, dass Teilaufdrucke der Nachbarmarke ersichtlich sind, werten wie Doppeldrucke.
KarlsbadDie Ausgaben dieses weltbekannten Kurortes sind wegen ihrer farbigen Aufdrucke besonders beliebt.
Kopfsteher, seitenverkehrte Aufdrucke, verwechselte Aufdruck-Typen bzw. verwechselte Aufdruckfarben kommen bei diesen geringen Auflagen noch seltener vor und gehören deshalb zu den größten Raritäten.
Eine weitere Besonderheit sind die Ersttagstempel 1.X.38. Am 1. Oktober 1938 wurde nachmittags um 14:00 Uhr erstmals mit der Ausgabe dieser Marken im Postamt Karlsbad begonnen. Abends rückten plötzlich tschechische Truppen wieder in Karlsbad ein und besetzten erneut das Postamt von 17:30 Uhr bis 3. Oktober 18:30 Uhr. Nur der Schnelligkeit der deutschen Postbeamten war es zu verdanken, dass diese Briefmarken und Stempel in Sicherheit gebracht wurden. Am ersten Tag lagen auch noch nicht alle Karlsbad-Marken überdruckt zum Verkauf bereit, deshalb ist dieser Ersttagstempel nicht bei allen Karlsbad-Marken möglich. Da diese Ersttag-Entwertung nur wenige Stunden möglich war, sind diese Entwertungen ein seltenes historisches Zeitdokument und belegen die wechselvolle Besetzungsgeschichte.
KonstantinsbadDieser kleine Kurort hat durchweg sehr geringe Auflagen (von 5 St. – max. 150 St.). Abarten in der Druckausführung sind bis heute nicht bekannt geworden.
Erwähnenswert ist, dass Zierfelder grundsätzlich nicht überdruckt wurden. Gleichwohl sind Marken mit anhängenden Zierfeldern sehr selten. Nach der Bogenanordnung kann davon ausgegangen werden, dass bei Gedenkmarken max. 12 % der Auflage auf Marken mit Zierfeldern entfallen.
Abends am 8. Oktober 1938 gegen 18:00 Uhr wurde der Entwertungsstempel von Konstantinsbad nationalisiert, d. h. der tschechische Name herausgebrochen. Folglich kommt vor dem 8.10.1938 der Entwertungsstempel nur mit beiden Bezeichnungen vor, nach dem 8.10. nur noch mit der deutschen Bezeichnung. Am 8.10. selbst sind beide Arten mit Uhrzeit 18:00 Uhr möglich.
NiklasdorfDiese Gemeinde war während der Sudetenlandkrise stark umkämpft. Die Besetzung des Postamtes wechselte mehrmals. Zu Niklasdorf gehört mit der MiNr. 27 die seltenste Briefmarke mit der geringen Auflage von nur 2 Stück: Nachgewiesen ist, dass es sich jeweils um abgestempelte Briefstücke mit Marken aus der linken unteren Bogenecke (mit Plattennummer 1 bzw. 1A) handelt . Ob das Exemplar mit Plattennummer 1 noch existiert ist nicht bekannt. In ungebrauchter Erhaltung existiert diese Marke folglich nicht.
Im Gegensatz zu Konstantinsbad wurden hier die Zierfelder der Gedenkmarken grundsätzlich überdruckt. Auch kommen vereinzelt Kopfsteher und seitenverkehrte Aufdrucke vor.
Reichenberg-MaffersdorfStreng genommen sind dies zwei unterschiedliche Ausgaben. Die verwendeten Überdruckstempel sind jedoch gleichartig und wurden von der gleichen Firma hergestellt. Eine Unterscheidung ist nur von wenigen Experten möglich. Bei gebrauchten Marken ist eine Zuordnung durch den Entwertungsstempel leicht möglich. Da die Auflagen je nach Ausgabeort stark differieren, ist diese Unterscheidung von erheblicher Bedeutung.
Kopfsteher, seitenverkehrte Aufdrucke und Doppeldrucke sind selten und gesucht.
Zierfelder kommen mit und ohne Überdruck vor, wobei diese Stücke max. 12 % der Gesamtauflage betragen. Senkrecht anhängende Zierfelder sind deutlich seltener als waagrechte.
RumburgDer Postbezirk Rumburg bestand aus ca. 50 Ortschaften. Darin liegt die für das Sudetenland relativ hohe Auflage begründet. Teilweise existieren noch postfrische Originalbogen. Dennoch gibt es auch hier seltene Raritäten wie z.B. die MiNr. 23, 44, 47 und 48.
Besonders interessant an diesem Gebiet sind einige seltene Druckabarten. Die bekanntesten sind:
- spiegelverkehrtes Hakenkreuz bei den Landschaftsmarken
- tropfenförmiges Ausrufezeichen bei den Gedenkmarken
- geneigtes Hakenkreuz bei den Zeitungsmarken
(nur am rechten Bogenrand vorkommend).
- geneigtes rechtes Hakenkreuz bei den Portomarken
(nur am rechten Bogenrand vorkommend).
Die neueste Entdeckung ist der Plattenfehler PF II (Loch im S) auf Feld 93 bei den Landschaftsmarken. Bisher ist dieser bei den Marken MiNr. 11, 14, 15 und 16 bekannt geworden. Bei weiteren Marken dieses Formats ist dieser Plattenfehler denkbar, jedoch noch nicht nachgewiesen.
Am seltensten ist jedoch der seitenverkehrte Aufdruck MiNr. 5s und der Kopfsteher MiNr. 8K. Beide sind bis heute Unikate.
Erhaltungsart und SeltenheitenAbschließend bleibt anzumerken, dass postfrische Sudetenland-Briefmarken (ausgenommen Rumburg, hier gibt es wie bereits erwähnt, komplette Originalbogen) sehr selten vorkommen. Der Hauptteil dieser Marken wurde sofort aufgebraucht, entweder durch Bedarfspost oder als Sammlerbeleg, um sich die historischen Befreiungsstempel zu sichern. Ungebrauchte Stücke sind deutlich seltener und tragen meist – wie damals gesammelt - Falz. Der Anteil an postfrischen Marken schätze ich auf max. 3 % der Ursprungsauflage, wobei die meisten Spitzenwerte in postfrischer Erhaltung nicht mehr existieren dürften.
Marken mit anhängenden Leer- bzw. Zierfeldern kommen nur auf 12 % der bereits geringen Gesamtauflage, senkrecht anhängende sogar nur auf 2%. Hierbei handelt es sich nach der Bogenanordnung um Annäherungswerte, da nicht nur komplette Bogen sondern auch Bogenteile überdruckt wurden. Diese Annäherungswerte geben einen guten Einblick auf die extreme Knappheit dieses Materials. Diese Relation ist insbesondere bei senkrechten Zierfeldern vielen Sammlern noch nicht bewusst. Solche extreme Seltenheiten werden sich über kurz oder lang in der Marktentwicklung niederschlagen.
Weitere Einzelheiten und Exponate dieses wiederentdeckten und hochaktuellen Gebietes finden Sie im Internet unter
http://sudetenphilatelie.piranho.de