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 Die Mond-Rakete ist gelandet

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Die Mond-Rakete ist gelandet Empty
BeitragThema: Die Mond-Rakete ist gelandet   Die Mond-Rakete ist gelandet EmptySo Okt 19, 2008 9:29 am

Am 21. Oktober 1958 veröffentlichte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ den ersten Teil der Reportage „Köln im Jahr 2008“.
Köln im Jahre 2008
Eine Reportage aus der Welt von übermorgen von Heinz Weibel-Altmeyer

I.

„Ja, ja, das hab ich schon gehört“, murmelt er, begreift aber noch immer nicht, was das mit der Raketenlandung zu tun haben könnte. „Um die Sache richtig anzukurbeln, ist letzte Woche eine Sonderbriefmarke rausgekommen“, fährt Romy fort. „Eine Sonderbriefmarke zum zwanzigjährigen Bestehen der Mondsiedlungen …“ „Ach, und die Rakete bringt heute diese Briefmarken mit“, zündet es bei Schulze-Birnbaum endlich.

„Ja“, nickt sie. „Sie sind heute ein bißchen durcheinander, nicht wahr, Herr Schulze-Birnbaum? Sie sollten sich bei der Behörde auch mal für die Zwölf-Stunden-Woche einsetzen.“

„Um Gottes Willen“, winkt er ab. „Wir sind wie immer zuallerletzt dran.“

Sie werden abgelenkt, weil die Rakete jetzt in etwa fünf Kilometer Höhe angekommen ist. Das Donnern ihrer Rückstoßdüsen, mit denen der Pilot die ungeheure Geschwindigkeit bremst, erfüllt die Luft. Gleich darauf taucht sie in den ersten hydraulischen Sack ein, durch den ihr Tempo weiter vermindert wird. Der zweite Sack, der dritte Sack ist passiert. Nun fährt sie ihre Bremsfallschirme aus, sie schwebt jetzt sanft herab, setzt auf, hebt sich nochmals, zittert ein bißchen, und dann steht ihr glitzernder Leib ganz still.

Sofort fahren zwei Gangways heran, auf deren Rolltreppen die Europolice zur Ausstiegsluke der Rakete hinauffährt. Die Polizisten in blütenweißen Uniformen sind zuständig für die interplanetarische Paßkontrolle.

Zwei Minuten später erscheint als erste Mondreisende eine junge Dame in der Ausstiegsluke und lächelt in Verkennung der wirklichen Umstände den Massen huldvoll zu. Sie ist die etwas eitle Tochter des Kölner Kunststoff-Fabrikanten. Stadtbekannt, weil an ihr in geradezu vollendeter Weise alles derart geschmackvoll unecht ist, daß sie als die beste Reklame ihres Vaters gilt. Für eine Sekunde zeigt sie den Neugierigen die schönsten falschen Zähne Kölns, aber dann hat sie keine Zeit mehr. Sie eilt auf den lautlos herangerollten Atom-Ford zu, der mit ihr blitzschnell davonfährt. Wahrscheinlich hat sie brandwichtige Aufträge vom Mond mitgebracht.

Kosmische Strahlenkur für Herzkranke

Schulze-Birnbaum beobachtet mit gemischten Gefühlen das weitere Aussteigen von Mondreisenden, meist herzkranken Managern, die in Luna eine kosmische Strahlenkur mitgemacht haben. Wenn nicht bald etwas geschieht, was die Massen ablenkt, wird es ihm unmöglich gelingen, die drei geheimen Angesandten von Professor Siebenfels unauffällig in Empfang zu nehmen.

Als habe es nur dieses Gedankens bedurft, bricht im gleichen Augenblick ein unheimlicher Tumult aus. Auf der zweiten Gangway hat ein Mondpostbeamter den ersten Sack Briefmarken herausgetragen. Die für die Absperrung verantwortliche Kölner Stadtpolizei muß vier Roboter zwischen den Postbeamten und die Menge werfen, um dem Mann mit dem Briefmarkensack das Leben zu retten. Dummerweise erscheint eine Minute später ein zweiter Mondpostbeamter mit einem Sack. Jetzt ist die Masse der Briefmarken-Fans nicht mehr zu halten. Sämtliche Beamte müssen eingreifen, alle Roboter müssen rücksichtslos eingesetzt werden.

Schulze-Birnbaum steht etwas abseits, um bei dieser Raserei nicht platt wie eine Briefmarke gequetscht zu werden. Aber er freut sich. Jetzt hat die Menge ihre Sensation und ist abgelenkt. Wütend schlägt sie sich mit den Polizei-Robotern herum, die im Gleichschritt vorwärts marschieren und in gewissen Abständen zugreifen, um mechanisch den Nächstbesten zu verhaften. Vier, fünf Minuten hält die Masse noch stand, dann stürmt sie davon wie eine Hammelherde, in die ein Bienenschwarm eingefallen ist. Geistesgegenwärtig schaltet der leitende Polizeibeamte auch seine Roboter auf Sturmschritt, und die siebenunddreißig stählernen Ordnungshüter preschen mit schrecklichem Pfeifen und Heulen hinter den Flüchtenden her. Ein paar brauchen nur noch die Ohnmächtigen aufzulesen, die auf einen altmodischen Elektrokarren geladen werden, ebenso wie die zahlreich herumliegenden beschädigten Flupeds.

Jetzt herrschen Ruhe und Ordnung um die Rakete. Schulze-Birnbaum tritt vorsichtig aus seinem Verstreck hervor. Weit und breit ist kein Mensch mehr zu sehen. Vor allem ist kein Journalist mehr zu erblicken. Wer von denen nicht durch die Roboter verhaftet worden ist, dürfte Gott sei Dank mit den Massen davongeschwemmt sein. Plötzlich durchzuckt es Schulze-Birnbaum. Klang da nicht ein dumpfer Schrei aus dem Leib der Rakete?

Er fährt herum. Nun hört er es zum zweiten Mal deutlich: „Hilfe!“ Verzweifelt rast er die noch auf Abwärtsfahrt eingestellte Rolltreppe der Gangway hinauf. Sieben Riesensprünge muß er vollführen, um einen Meter zu gewinnen. Zwölf Meter sind es bis zur Ausstiegsluke. Schweißgebadet langt er oben an.

Wieder ein Hilfeschrei. Er ertönt aus dem Treppenschacht, der zu den Luxuskabinen hinaufführt. Schulze-Birnbaum hastet die Stufen hoch. Welche Tür? Endlich hat er sie gefunden. Es ist eine Panzertür, die ins Schloß gefallen ist und von außen nicht geöffnet werden kann. „Mensch, machen Sie auf!“ schreit er. „Von innen öffnen!“ Es bleibt einen Augenblick still, dann ruft jemand leise: „Wer ist das? Polizei?“

Schulze-Birnbaum nennt seinen Namen. Da gibt die Tür langsam nach, und das völlig verstörte Gesicht eines Mannes vom Flugpersonal erscheint. „Gott sei Dank, daß Sie es sind“, stottert der Mann. „Mit Ihnen darf ich wenigstens reden.“

„Machen Sie es kurz“, sagt der Chefassistent. „Wer sind Sie? Was ist passiert?“

Da öffnet der Mann die Tür vollends, und Schulze-Birnbaum sieht mit seinen eigenen Augen, was geschehen ist. Die leblosen Körper zweier Männer hängen in ihren Sesseln …

„DER DRITTE … IST WEG“, stöhnt der Mann. „Das ist das Schlimmste. Diese beiden sind nur bewußtlos.“ Er starrt einen Augenblick trübsinnig vor sich hin, bevor er weitererzählt. „Ich bin Obersteward der Interplanet-Raketenlinie. Gestern abend hat mich Professor Siebenfels oben in Luna angerufen und gefragt, ob ich ihm einen sehr wichtigen Gefallen tun könnte. Selbstverständlich habe ich zugesagt. Ich kenne Professor Siebenfels seit langem. Er bat mich dann, daß er heute vor dem Start zum Erdflug drei Herren an Bord bringen dürfte. Sie sollten eine Extrakabine haben, und niemand sollte während der Fahrt etwas von ihnen sehen. Hier in Wahn sollte ich später warten, bis sich alles verlaufen hätte, und dann mit Ihnen in Verbindung treten.“

„Kannten Sie die Herren denn?“

„Keine Spur. Es waren diese beiden Älteren, die da bewußtlos liegen, und ein Jüngerer, vielleicht so achtzehn Jahre.“

„Achtzehn? Sagten Sie achtzehn?“ sagt Schulze-Birnbaum. Wie ein elektrischer Schlag durchfährt ihn der Gedanke an die angeblichen Übermenschen, von denen Irene im Traum gesprochen hat. Doch er hat sich schnell wieder gefaßt und läßt diese dumme Kombination fallen. „Achtzehn“, bestätigt der Obersteward. „Ein reizender Bursche, und geradezu auffällig intelligent. Der Teufel soll die Kerle holen, die ihn entführt haben.“

„Entführt? Glauben Sie?“

„Na, was soll denn sonst passiert sein?“

„Wir werden es feststellen“, erwidert Schulze-Birnbaum ruhig. „Gehen Sie jetzt bitte nach unten und wimmeln Sie alle Neugierigen ab. Auch Ihre Kollegen und die Polizisten. Vor allem die Reporter. Vorläufig braucht niemand etwas von dieser Geschichte zu erfahren. Ich nehme sofort Verbindung zu meinem Chef auf.“

Funkgerät an der Armbanduhr

Es dauert kaum zwei Minuten, bis Schulze-Birnbaum über sein Armband-Funkgerät mit dem Regierenden Bürgermeister von Köln, Dr. h. c. Josef Schmitz, verbunden ist. Und es dauert kaum mehr als eine weitere Minute, da ruft Schmitz aus: „Ich komme sofort hinaus! Sprechen Sie solange mit keiner Menschenseele darüber!“

Eine Viertelstunde später landet der Diensthubschrauber des kölnischen RB genau vor der Rakete. Als erster springt Schmitz heraus und eilt schnaufend die inzwischen von dem Obersteward abgeschaltete Rolltreppe hinauf.

Schmitz ist ein schwerer Mann mit kugelrundem Glatzkopf. Seit neunzehn Jahren leitet er als Regierender Bürgermeister die Geschicke der Stadt Köln. Er hat es fertiggebracht, die Grenzen der Stadt immer weiter auszudehnen, so daß Düren heute der westlichste, Andernach der südlichste, Gummersbach der östlichste und Neuß der nördlichste Vorort von Köln ist.

Die Fünfkommafünf-Millionen-Metropole ringt seit Jahren mit Berlin darum, deutsche Hauptstadt zu werden. Die Kölner lieben ihn abgöttisch deswegen. Schmitzens größtes Verdienst in den Augen vieler Urkölner ist jedoch, daß er Düsseldorf inzwischen durch pausenlose wirtschaftliche Nadelstiche zu einem völlig bedeutungslosen Dorf degradiert hat, über dessen Eingemeindungsantrag die Kölner Bürgerschaftsversammlung zur Zeit berät.

Außer RB Schmitz ist mit dem stadtkölnischen Hubschrauber noch ein anderer gewichtiger Beamter eingetroffen: Polizeipräsident Heinz-Max Schnuff, kurz im Volksmund PP Schnuff genannt. PP Schnuff genießt einen hervorragenden Ruf, seit er im Jahre 1985 kurzerhand sämtliche Verkehrsinseln und -inselchen einfach wegreißen ließ, die seine Vorgänger im Verlaufe vieler Jahre überall in der Stadt hingekleckst hatten.

Schmitz, Schnuff und Schulze-Birnbaum treten in die Luxuskabine, wo die beiden Bewußtlosen noch immer in ihren Sesseln liegen. „Schließen Sie bitte die Panzertür“, sagt Schmitz zu Schulze-Birnbaum. „Was ich Ihnen jetzt zu erklären habe, meine Herren, braucht kein unbefugtes Ohr zu hören.“ Zu Schnuff hingewendet, fährt er fort: „Schalten Sie bitte Ihren Zerhacker ein, damit auch eventuell vorhandene Abhörgeräte nicht zum Zuge kommen.“

Während das leise Piep-Piep des Funkwellenhackers den Raum erfüllt, sagt Schmitz in einem Ton, der dem Ernst der Stunden angemessen ist: „Meine Herren, was hier vor wenigen Minuten geschah, dürfte die gefährlichste Panne unseres neuen Jahrhunderts sein. Der Mann, der aus noch völlig ungeklärten Gründen aus dieser Raketenkabine entführt wurde, ist der erste Übermensch, der unsere Erde betreten sollte …“

Schmitz nimmt einen Augenblick die betroffenen Gesichter von Schulze-Birnbaum und Schnuff zur Kenntnis, dann spricht er weiter: „Ich möchte Ihnen rückhaltlos die Wahrheit sagen. Es ist mir natürlich bekannt, daß ein UNO-Gesetz jegliche Mutationsversuche an Menschen verbietet … hier unten auf der Erde. Für den Mond gilt dieses Gesetz nicht, das ist seine Lücke, wie die meisten Gesetze eben ihre Lücken haben. Selbstverständlich ist mein alter Freund, Professor Siebenfels, nicht aus irgendeinem unehrenhaften Grund durch diese Lücke geschlüpft. Vielmehr hat ihn nur sein wissenschaftlicher Forscherdrang zu solchen Experimenten verleitet. In zwanzigjähriger Arbeit gelang es ihm, nun insgesamt dreißig Übermenschen, wie soll ich sagen … zu schaffen. Absolut geheim, meine Herren.“

„Alle Achtung“, murmelte PP Schnuff.

„Vor einem Jahr habe ich die Sache rausbekommen“, fährt Schmitz nicht ohne Stolz fort, „und ich glaube, in dieser Stunde hatte ich den größten Gedanken meines Lebens. Ich dachte: für Köln ist gerade das Beste gut genug, deshalb soll ein Übermensch eines Tages Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters werden. Er soll das vollenden, was ich mit meinen schwachen Normalmenschenkräften begonnen habe …“

„Ein genialer Einfall“, sagt Schulze-Birnbaum und spielt den Begeisterten, obwohl es ihm nur mit Mühe gelingt. Er muß an die Szenen in seinem Haus denken, an Irene, die in ihren Alpträumen immer von Übermenschen gefaselt hat.

Fortsetzung folgt

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