Briefmarken als Kapitalanlage und/oder Spekulationsobjekt?
EinleitungWenn Philatelisten gefragt werden, weshalb sie Postwertzeichen sammeln, lautet meistens die Antwort: „ Weil es Freude macht und es auf eine gewisse Art und Weise weiterbildet.“ Auf die Frage, ob die eigene Briefmarkensammlung auch als Kapitalanlage betrachtet wird, kommt häufig nur ein mildes Lächeln und der Hinweis: „ Diese Zeiten sind längst vorbei!“ Aber ist dies wirklich so?
Der Aufbau sehr gehobener Sammlungen ist nur mit Einsatz von viel Kapital möglich. Wer viel Kapital investiert, möchte sicher gehen, irgendwann sein Kapital wieder zurück zu erhalten – möglichst mit Zinsen. Eine gut ausgebaute, spezialisierte Sammlung kommt sicherlich einer Kapitalanlage gleich. Allerdings mit sehr spekulativem Charakter!
Doch bevor wir näher auf diese Thematik eingehen, sollten wir uns einige allgemeingültige Anlagegrundsätze betrachten:
Magisches DreieckJeder Kapitalanleger möchte mit seiner Anlage eine möglichst hohe Rendite (Verzinsung, Wertzuwachs) erzielen. Darüber hinaus sollte die Anlage liquide sein, also möglichst täglich in Bargeld umwandelbar und ohne Kündigungsfrist verfügbar sein. Selbstverständlich sollte diese Anlage auch absolut sicher sein, d.h. eine ungeschmälerte Rückzahlung des Anlagebetrages, ohne Kursverluste, ohne Insolvenzrisiko, kein Untergangsrisiko und keine Abnutzung des Anlagegegenstandes usw.
Leider gibt es diese ideale Kapitalanlage nicht, die alle drei Anlageziele optimal vereint.
Individueller Vermögensaufbau (Anlagepyramide)
IUnbestritten ist, dass – wie bei jedem Hausbau – zunächst ein solides Fundament gelegt werden muss. Die Sicherung der Existenz und der Lebensgrundlage hat absolute Priorität. Als Faustregel gilt: 2 – 3 Gehälter als Reserve für unvorhergesehenes gehören auf ein Sparkonto oder Tagesgeldkonto, das jederzeit verfügbar ist. Weiteres Ziel ist die Absicherung der Familie über Versicherungen.
IIIst die Existenz genügend gesichert, können weitere Wünsche erfüllt werden, z. B. Rücklagen für ein neues Auto, Urlaub, Eigenheim etc.. Hier kommen mittel- und langfristige Sparverträge, festverzinsliche Wertpapiere oder auch Bausparverträge in Frage.
IIINachdem eine sichere finanzielle Basis geschaffen wurde, können zur Erhöhung der Ertragschancen risikoreichere Kapitalanlagen wie Aktien, Aktienfonds, Mietimmobilien ggfs. auch gedeckte Termingeschäfte eingebaut werden.
IVDas Top-Level besteht aus Sachwerten wie Schmuck, Kunst, Antiquitäten, Briefmarken etc.. Diese Anlagen haben sehr spekulativen Charakter und sind sicherlich nicht für Jedermann geeignet. Nötiges „Kleingeld“ und entsprechendes Fachwissen sind unentbehrlich. Diese Anlagen machen nicht nur Freude, sondern sind auch steuerlich sehr interessant, da nach derzeitigem deutschen Steuerrecht Spekulationsgewinne (nach Ablauf der steuerrelevanten Spekulationsfrist) steuerfrei sind. Bei hoher Steuerprogression des Anlegers hat dies besonderen Charme.
PreisfaktorenWie alle Güter richtet sich der Preis nach Angebot und Nachfrage. Je höher die Nachfrage und je geringer das Angebot, umso höher der Preis.
Schaut man sich in den Briefmarkenvereinen um, stellt man fest, dass die Mitglieder meist schon fortgeschrittenen Alters sind. Jugendgruppen haben sich teilweise aufgelöst oder sind in der Minderheit. Die Erbengeneration hat selten Interesse Sammlungen weiterzuführen. In deren Augen ist das Briefmarkensammeln „out“. Durch Auflösung von Sammlungen kommt immer mehr Material auf den Markt. Bei immer weniger Nachfragern führt dies zwangsläufig zu fallenden Preisen. In den gängigen Gebieten (Bund, Berlin, DDR) ist dies seit Jahren nachvollziehbar.
Aber Achtung: Dies gilt nur für Standardware (die sowieso schon fast jeder hat). Bei klassischen Raritäten in Top-Qualität sieht die Marktlage ganz anders aus. Briefmarken mit einer geringen Auflage von ein paar 100 Stück oder noch weniger sind gegen diesen Schwund weitestgehend resistent. Im Gegenteil, diese werden auch künftig einen Wertzuwachs erfahren.
Worin liegt dies begründet? Der ernsthafte renommierte Sammler hat bereits die Standardware – teils mehrfach . Wenn man aber schon alles besitzt, wird Sammeln langweilig. Ergo sucht der erfahrene Sammler Spezialgebiete und seltene Stücke, die schwieriger zu beschaffen sind. Außerdem ist der langjährige renommierte Sammler meist gut situiert und verfügt über das nötige „Kleingeld“, um sich diese Raritäten leisten zu können.
Genau diese Raritäten mit sehr geringer Auflage eignen sich hervorragend zur Kapitalanlage, da seltenes Material mit der Zeit immer knapper ergo teurer wird (siehe Kunstmarkt). Dabei muss es nicht immer die legendäre unerschwingliche „Blaue Mauritius“ sein. Es gibt genügend Randgebiete, die einen Dornröschenschlaf schlummern und darauf warten wachgeküsst zu werden oder gerade erst aufgewacht sind (z. B. Transatlantikbriefe oder die amtlichen Briefmarken des Sudetenlandes).
Alle diese gesuchten Spezialgebiete erfüllen folgende Kriterien:- geringe Auflagezahlen (oftmals nur 10 oder 20 Stück)
- länderübergreifende historische Ereignisse.
Eine geringe Auflage alleine genügt nicht, sonst könnte jeder Sammler sein eigenes „Unikat“ herstellen. Erst ein einmaliges historisches Ereignis (z. B. Staatsgründung, Sezession) sichert die Sammelwürdigkeit und ein breites philatelistisches Interesse. Private Postwertzeichen oder Marken privatwirtschaftlicher Postzusteller erfüllen diese Voraussetzung meist nicht.
Die Erhaltungsqualität der Postwertzeichen ist in Relation zur Auflage zu sehen. Bei Raritäten mit ursprünglich geringer Auflage von nur z. B. 20 Stück, kann davon ausgegangen werden, dass nicht mehr alle Stücke existieren. Somit können auch Falzmarken oder gar Marken mit Mängeln Raritäten darstellen. Die tatsächlich noch im Markt existierende Auflage eines Postwertzeichens (nicht die ursprünglich gedruckte oder verkaufte!) ist und bleibt dauerhaft der Hauptfaktor der Preisbildung.
Spekulation und ModebewegungSich wandelnde Vorlieben der Sammler (z. B. klassisches statt modernes Material) können den Markt und das Preisgefüge beeinflussen. Gelegentlich wurde auch von interessierter Seite versucht, die Preise nach oben zu treiben (Beispiel: Posthornsatz, der schon bei 12.000,-- DM
notierte oder die Spekulation mit der Heinemann 50 Pf. Bund MiNr. 640). Diese Preisver-
werfungen haben jedoch immer nur kurzfristigen Charakter. Aufgrund der tatsächlich noch kursierenden Mengen sorgt der Markt über kurz oder lang immer für ein ausgeglichenes Preisgefüge nach Angebot und Nachfrage.
Preisbildung und KonjunkturMit Konjunktur wird das Auf und Ab der Wirtschaft bezeichnet. Wie wirkt sich dies auf den Briefmarkenmarkt und die Preisbildung aus?
Es ist plausibel, dass in schwierigen Zeiten (Rezession, Depression) weniger Mittel für Hobbys zur freien Verfügung stehen. Vereinzelt sind Sammler genötigt, sich von ihren liebgewonnenen Sammlungen zu trennen, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. In wirtschaftlichen Aufschwungphasen wird wieder mehr Geld verdient. Zunächst werden höherwertige Konsumgüter (z. B. Autos etc.) erworben, deren dringende Ersatzanschaffung bisher aufgeschoben wurde. Dann erst widmet man sich dem Hobby und dem Erwerb von Luxusgütern. Das Geld sitzt lockerer. Sammler sind bereit für gute Ware gute Preise zu bezahlen. Sie akzeptieren um so großzügiger Preissteigerungen, je leichter sie selbst ihr Geld (z .B. am Aktien- oder Immobilienmarkt) erwerben konnten. In der Boom-Phase explodieren die Preise. Inflationsängste führen zur „Flucht in Sachwerte“ bis es zur Überhitzung kommt.
Der Briefmarkenmarkt folgt der Konjunktur mit einem „Timelag“, d.h. etwas verzögert. Der Profi antizipiert jedoch diese Ereignisse durch antizyklisches Verhalten.
Luxusgüter im Premiumsegment sind von konjunkturellen Abschwüngen nicht so stark betroffen, da die permanente Nachfrage das spärliche Angebot bei weitem übersteigt und gut situierte Sammler auch in Krisenzeiten liquide sind. Wer möchte schon eine Okkasion verpassen, die es vielleicht nur alle 10 Jahre gibt?
FazitGesammelt werden kann alles was Freude bereitet. Ein seltenes Stück, das zur Komplettierung eines Satzes fehlt und welches nicht in jedem Fachgeschäft erworben werden kann, erzeugt beim glücklichen Erwerb natürlich ein größeres Hochgefühl, als Standardware.
Nicht alle Briefmarken eignen sich zur Kapitalanlage. Die Konzentration auf Raritäten mit extrem geringer Auflage wird weiter zunehmen.
Je weiter der Sammler in seiner persönlichen Anlagepyramide fortgeschritten ist, umso eher sind Briefmarken für ihn als Kapitalanlage geeignet.
Die Philatelie hat weiterhin (trotz Sammlerschwund) ihre Daseinsberechtigung, allerdings wird die Tendenz zur Spezialisierung weiter zunehmen.
Neu-Ulm, 03.03.2008
Gerhard Späth