Die Schicksalsstunden Österreichs haben ihre Spuren auch in der Geschichte der Post hinterlassen. Postgeschichte ist Teil der Geschichte. Ohne historische Kenntnisse lässt sie sich nicht verstehen.
Als der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg am 12. Februar 1938 auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden unter schwerem politischen Druck Hitlers erkennenmusste, dass die Annexion Österreichs durch das Deutsche Reich unmittelbar bevorstand, setzte er als letzten Rettungsversuch für den 13. März 1938 eine Volksbefragung über die Unabhängigkeit Österreichs an. Die österreichische Post wurde in die Kampagne eingebunden und stempelte Briefpost: „Mit Schuschnigg für ein freies Österreich? Ja!“
Zum gleichen Zweck wurden Wahlwerbevignetten der „Vaterländischen Front“ aufgelegt, die zwar keine
Briefmarken waren, aber doch auch postalisch gestempelt vorkommen.
Die Vaterländische Front war nach der Auflösung der politischen Parteien in den Jahren 1933/34 durch Bundeskanzler Dollfuß zur Einheitspartei des Ständestaates Österreich geworden. Sie war unter dem Symbol des Kruckenkreuzes der „alleinige Träger der politischen Willensbildung in Österreich“ und Sammelbecken aller regierungstreuen Kräfte.
Die von Schuschnigg übereilt und auch ohne ausreichende Vorbereitung angesetzte Volksbefragung konnte nicht mehr stattfinden, Schuschnigg mußte sie unter deutschem Druck absagen. Er trat am 11. März 1938 zurück. Zwei Tage später übertrug Bundespräsident Miklas – ohne selbst ausdrücklich zu demissionieren – seine Amtsgeschäfte an den Nationalsozialisten Seyß-Inquart.
Am 12. März 1938 marschierte dieDeutsche Wehrmacht kampflos in Österreich ein. Am 13. März wurde das Bundesverfassungsgesetz überdie „Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ verlautbart. Noch am Abend dieses Tages traf Hitler in Wien ein.
SS-Chef Heinrich Himmler und SS-Führer Heydrich waren schon einen Tag früher da. Erste Verhaftungen
erfolgten noch an diesem Tag und füllten die Gefängnisse in der Folge mit Anschlußgegnern und Personen, die dem Nationalsozialismus kritisch bis feindlich gegenüberstanden.
Die Grenzen Österreichs wurden streng kontrolliert, die deutsche Devisenkontrolle wurde auch in Österreich eingeführt. Sie diente überdies der Zensur und zwar nicht nur der Auslandspost, sondern bei Vorliegen eines „Verdachtes“ auch der Inlandspost.
Spottkarten und Propagandakarten beleuchten die Lage.
Ab 4.4.1938 konnten auch deutsche Briefmarken verwendet werden. Der Umrechnungskurs war 1 Mark = 1,5 Schilling. Die postalischen Zusatzleistungen (Reko, Eilboten) wurden nach österreichischem Tarif, die
Postgebühren nach deutschem Tarif berechnet. Auch das war eine Propagandamaßnahme. Die jeweils günstigeren Tarife sollten den Österreichern zeigen: Auch für die Brieftasche bricht eine neue Zeit an.
Die österreichischen Briefmarken blieben weiter frankaturgültig.
Lediglich die Dollfuß-Marken (ANK 588-590) wurden soweit noch vorhanden mit 15. März 1938 eingezogen und vernichtet. Mischfrankaturen von österreichischen und deutschen Marken waren erlaubt und nicht nur die damaligen Sammler haben von dieser Möglichkeit ausgiebig Gebrauch gemacht.
Das Reichspostministerium in Berlin übernahm die österreichische Post. Das „Post- und Telegraphen-Verordnungsblatt“, in dem alle Verfügungen, die das österreichische Postwesen betrafen, veröffentlicht wurden, änderte seinen Namen in „Nachrichtenblatt der Abwicklungsstelledes Reichspostministeriums für das Land Österreich“.
Entscheidungen wurden nicht mehr in Wien, sondern in Berlin getroffen. Marken und Wertzeicheneindrucke auf Postkarten, die in Wien mit dem Hakenkreuz-Aufdruck versehen worden waren, erhielten keine Genehmigung zur Ausgabe und postalischen Verwendung.
Anders war es bei Postformularen österreichischer Provenienz. Hierüber berichtet – nach Stil und inhaltlicher Prägnanz wohl noch Ing. Edwin Müller vor seinem zwangsweisen Ausscheiden aus seiner renommierten, jahrelang redigierten philatelistischen Zeitschrift „Die Postmarke“ – in der Nummer 407 vom 16. Mai 1938 wie folgt:
„Durch eine Verfügung vom 21. April 1938 ist angeordnet worden, bei allen Drucksorten das alte Hoheitszeichen zu überdrucken und das neue Hoheitszeichen aufzudrucken.
Zu diesem Zwecke haben alle Postämter zwei Stempel erhalten, die entsprechend zu verwenden sind. Die Postämter erhalten nach wie vor, bis zum Aufbrauch, noch die alten Drucksorten geliefert und haben die Änderung selbst durchzuführen.
Drucksorten mit dem alten Wappen dürfen nicht mehr verkauft werden;Zur nochmaligen Klarstellung: Gemeint war nicht der Wertstempel selbst, sondern der in der Ganzsache allenfalls aufscheinende österreichische Hoheitsadler, beispielsweise auf Postanweisungskarten, der zu überstempeln war. Diese deutsche Verfügung zur Überstempelung wurde nicht einmal in Wien lückenlos befolgt, doch liegen zahlreiche Abgabe- und Aufgabescheine vor, die beweisen, dass die Verordnung auch bei kleineren Postämtern in der Praxis umgesetzt worden ist.
Zu erwähnen ist noch das Vorkommen des deutschen Hoheitszeichens auf der 10-Groschen-Portomarke (ANK 163).
Hie-zu Ing. Müller in der Nummer 414 der „Postmarke“ vom 9. September 1938, Seite 205:
„Dem Vernehmen nach soll ein Beamter des Postlageramtes Wien 1 in irrigerAuffassung über die Verordnung betreffend das Überstempeln von Drucksorten auch einige Bogen der 10 Groschen-Nachgebührenmarke überdruckt haben.“ Für den 10. April 1938 wurde von den neuen Machthabern eine Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich angesetzt. Österreicher und Deutsche erlebten eine noch nie dagewesene Propagandaflut, für die auch die Post mit Stempeln verschiedenster Art eingebunden war.
Die Abstimmung war zwar frei und es gab Kabinen für die geheime Stimmabgabe. Diese wurden jedoch kaum benutzt – die einen brauchten sie nicht, weil sie ohnedies für den Anschluss waren, die anderen hatten Angst, sie zu benützen und damit den Verdacht der Gegnerschaft auf sich zu lenken. Gegenmeinungen waren weder zu hören, noch zu lesen. Der große Kreis auf dem Stimmzettel war natürlich für das „Ja“ bestimmt. Das Ergebnis war dementsprechend überwältigend für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich.
Rechtzeitig vor der Volksabstimmung vom 10. April, kam am 8. April 1938 eine „Anschlussmarke“ an die Postschalter.
Die Abbildung zeigt den Wiener und den Berliner Druck sowie die ursprünglich vorgesehene Ausführung der Marke. Sie hatte noch das Porto in österreichischer Währung getragen (12 Gr.) und den Anschein einer staatsvertraglichen Vereinigung zweier unabhängiger Staaten erweckt. Die damalige anschlussfreundliche Haltung eines großen Teiles der österreichischen Bevölkerung erlaubte es dem Regime jedoch risikolos, auf die Worte „Land Österreich“ zu verzichten und den Nennwert in der – noch dazu für den Postkunden billigeren – deutschen Währung einzusetzen.
Eine neuerliche Portoänderung erfolgte am 1.8.1938:
Nunmehr galt auch für die Postzusatzleistungen der teurere deutsche Tarif.
Ersttag der 3. Gebührenperiode: 1.8.1938.
Inlandsbrief, 2. Gewichtsstufe (24 Rpf.), Eilzustellung und Rohrpost
(40 Rpf.), gesamt = 64 Rpf., Frankatur: 60 Rpf. + 6 Gr. (= 4 Rpf.). Die österreichischen Briefmarken verloren mit 31.10.1938 ihre Gültigkeit.
Der Name Österreich wurde zum „Unwort“. Unser Land hieß nun „Ostmark“. Aber auch dieser Name erinnerte zu stark an die 1. Republik und verschwand im Krieg. Österreich, das waren jetzt die „Alpen- und Donaugaue“.
Quelle:
Dr. Hellwig Heinzel / DIE BRIEFMARKE Nr. 4/2007