Neun Kreuzer bringen Millionen Nach der Auktion ist vor der Auktion. Es ist also keineswegs so, dass die zwölf festen Mitarbeiter des Auktionshauses Heinrich Köhler sich zwischen den zwei oder drei Versteigerungen im Jahr langweilen. "Kein bisschen", sagt der 47 Jahre alte Geschäftsführer Dieter Michelson und lacht. "Denn wir sind stets auf der Suche nach neuen Stücken."
Heinrich Köhler hat einen großen Namen in der Welt der Philatelie. International spielen nur wenige Konkurrenten in der gleichen Liga. Und dass Deutschlands ältestes Auktionshaus ausgerechnet im Jahr seines hundertsten Bestehens quasi zum Geburtstag seine Rekord-Versteigerung feiern kann, passt natürlich bestens.
Den Sonderkatalog "Altdeutschland - Die Sammlung Algovius" ziert ein Viererblock gelber Neun-Kreuzer Briefmarken von Thurn und Taxis aus dem Jahr 1852, ungebraucht und ungestempelt wie sämtliche Stücke dieser Kollektion. Clou dabei: Just jenes Quartett hat auch Firmengründer Heinrich Köhler bei seiner ersten Auktion vor einem Jahrhundert in Paris versteigert. Michelson: "Und jetzt haben wir sie wieder zum Jubiläum, das finde ich toll."
Von Berlin nach Wiesbaden
Die Firma residierte zunächst in der Berliner Friedrichstraße. Nachdem Köhler Ende des Zweiten Weltkriegs gestorben war, verlegte seine Witwe Anna den Stammsitz vor sechzig Jahren nach Wiesbaden. Nach wechselvollen Zeiten übernahm 1970 mit Volker Parthen ein Mann die Firma, der sie an die Weltspitze zurückführte. Neben anderen großen Sammlungen konnte er über Jahre hinweg auch die "Altdeutschen Staaten", vom New Yorker John R. Boker jr. zusammengetragene Briefmarken-Schätze, versteigern. Gesamterlös damals: sechzig Millionen Mark.
Unter Bokers Stücken war auch ein Juwel, das den höchsten Preis erzielte, der bis dahin jemals für eine Briefmarke erzielt worden war: der legendäre "Baden Fehldruck", neun Kreuzer, Schwarz auf Grün. Er kam 1985 für 2,3 Millionen Mark unter den Hammer.
Seit sechs Jahren führt Michelson das älteste deutsche Briefmarken-Auktionshaus. Es ist hoch gesichert, versteht sich. Neben dem Versteigerungssaal, Besichtigungs- und Lagerräumen voller akribisch registrierter Kartons wie auch Alben gehört auch eine große philatelistische Bibliothek dazu. Überdies lagern 150 000 Karteikarten, Referenzen genannt, in den Schubladen. Auf ihnen sind alle Details über das jeweilige Postwertzeichen von seinem Wert über den Zustand bis hin zu seinem Werdegang verzeichnet. Etwa: Wie alt? Woher? Sind alle Zähne dran? Ist der Gummi, also die Rückseite der Marke, noch im Originalzustand oder nachgebessert? Gestempelt? Das und mehr ist akribisch aufgelistet.
Auch wenn es inzwischen bei der Industrie- und Handelskammer eine Berufs- und Ausbildungsbeschreibung für den Bürokaufmann mit Fachrichtung Philatelie gibt, beschreibt der Chef seine Mitarbeiter als Menschen, "die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben". Michelson, der auch Vorsitzender des Bundesverbandes deutscher Briefmarkenversteigerer ist, nimmt sich da nicht aus.
Aber auch wenn der Geschäftsführer schon als Junge Briefmarken ins Album steckte, die ihm sein viel reisender Vater mitbrachte, und selbst wenn er bis heute mit dem Schwerpunkt "Postgeschichte Irland" sammelt, sagt er: "Ich bin kein Briefmarken-Freak." Da gebe es noch besessenere Philatelisten im Hause Heinrich Köhler.
Und dennoch kann Michelson begeistert über die Briefmarke als Symbol moderner Kommunikation und meistens zackiges Sammelobjekt sprechen und schreiben. Verstaubtes Hobby verstockter Männer? Langweilig? "Kein bisschen", sagt Michelson und springt am seriösen schwarzen Schreibtisch in seinem Büro auf.
Komm, ich zeig dir meine Briefmarkensammlung... "Ja, warum denn nicht!", urteilt Michelson über den abgedroschen-schlüpfrigen Spruch. "Da gibt es sehr viel über Kulturen, Persönlichkeiten und die Historie der Kommunikation zu lernen." Er sinniert. "Königreiche kamen und gingen, Staatsgrenzen verschoben sich, Städte und Landstriche wechselten die Nationalität. Aber die Briefmarken blieben und erzählen uns heute unsere Geschichte."
Revolution der Kommunikation
Ohne Postverkehr hätte sich moderne Massenkommunikation nie entwickelt, betont Michelson. Er zeigt ein Bild der One Penny Black aus England, der ersten Briefmarke überhaupt, von 1840. "Briefmarken waren tatsächlich eine Revolution, denn nun wussten Absender sicher, dass ihre Briefe auch wirklich ankommen." Davor zahlte der Empfänger, und da sei immer unklar gewesen, ob dieser Lust und auch das Geld dazu hatte, eine Sendung anzunehmen.
Michelson, der im Wechsel mit zwei Kollegen die Versteigerungen als Auktionator leitet, empfängt einen spanischen Kunden. Parliert perfekt. Mehrsprachig zu sein, gehört zum Geschäft. Zwischen den Versteigerungen ist er oft auf Reisen, stets auf der Suche nach neuen Fundstücken - natürlich möglichst aus der Zeit der Briefmarken-Klassik bis 1900 oder der Semi-Klassik bis Ende des Zweiten Weltkrieges.
Den Fehldruck, die Rarität wollen Sammler haben, "weil das Seltene besonders wertvoll ist". Auch eine Audrey-Hepburn-Marke gehörte im vergangenen Jahr zu den Fundstücken, die bei Heinrich Köhler unter den Hammer kamen: "Der Käufer kriegte für 58 000 Euro den Zuschlag." Das sind die Geschichten, die Michelson freuen. Das Auktionshaus fungiert wie ein Agent, der Briefmarken und seltener auch Münzen oder Autographen für Verkäufer sichtet, bewertet, sie und ihre Geschichten ansprechend im Katalog präsentiert und schließlich per Versteigerung feilbietet. Der Verkäufer zahlt bis zu 25 Prozent des Zuschlags als Provision an Heinrich Köhler, der Käufer 18 Prozent.
Es geht Michelson jedoch nicht nur ums Geld. Als besondere Ehre betrachtet er es, dass sie vor zwei Jahren die Sammlung von Simon Wiesenthal in Wiesbaden versteigern konnten. Dass Tochter und Schwiegersohn des Holocaust-Überlebenden, der bis zu seinem Tod nie wieder nach Deutschland gekommen war, "unser Haus ausgewählt hat, war ein ganz großer Moment, eine menschlich großartige Geste der Versöhnung, die uns alle bewegt hat".
Wiesenthal habe gesammelt, weil er Schlafprobleme hatte und sein Arzt ihm empfohlen habe, sich ein Hobby zu suchen, statt Tabletten zu nehmen. "Sammeln bildet und entspannt", befindet Michelson. Und das Auktionshaus Heinrich Köhler kann zudem offenbar ziemlich gut davon leben.
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