Zeitgemäßes Hobby
„Briefmarken sind Spiegel des Weltgeschehens“Frank Rothfuss, vom 13.01.2013 17:00 Uhr
Stuttgart – Johannes Feifel sammelt Briefmarken. Mit Leidenschaft. Als Lockmittel für Frauen taugten sie eher nicht, sagt er, aber sie machen schlau und man muss mit ihnen nicht Gassi gehen.
Herr Feifel, warum ist Audrey Hepburn Briefmarkensammlern lieb und teuer? Weil sie eine interessante Frau war und mit einer deutschen Briefmarke geehrt wurde, die extrem selten ist. Die Post hatte eine Briefmarke mit einem Foto von einer rauchenden Audrey Hepburn gedruckt. Doch Hepburns politisch korrekte Erben wollten das nicht. Also wurden die Marken vernichtet. Einige Marken blieben indes erhalten.
2011 wurde ein Zehnerbogen für 430.000 Euro versteigert.Es brach Goldgräberstimmung aus. Wie immer, wenn Marken teuer verkauft werden. Mich ärgert das Gerede von der Briefmarke als der Aktie des kleinen Mannes. Briefmarken sind zu 99 Prozent keine Geldanlage.
Sondern? Sie sind ein tolles Hobby. Sie beruhigen, sie steigern das Wissen, sie fördern die Konzentration, das Interesse an fremden Kulturen und den häuslichen Frieden. Der Philatelist geht seinem Hobby in Ruhe nach, bei Auswärtsspielen an Tauschabenden ist man unter sich, er sitzt nicht in der Kneipe, er ist weg von der Straße und stört zu Hause nicht.
Und er hat Humor? Warum auch nicht? Es stimmt schon, es gibt Fanatiker, die alleine vor sich hinwursteln. Aber das ist die Ausnahme. Wissen sie übrigens, was das Beste an Briefmarken ist?
Nein. Man muss mit ihnen nicht Gassi gehen, sie nicht streicheln und füttern. Und sie warten geduldig, auch wenn man sich jahrelang nicht mit ihnen beschäftigt hat.
Und man kann Frauen mit der Briefmarkensammlung aufs Zimmer locken. Zumindest ich habe das noch nicht geschafft. Briefmarken als Hobby ist nicht sehr anziehend für Frauen. Wir haben rund 80 Mitglieder im Verein, darunter keine zehn Frauen. Jagen und Sammeln sind männliche Urinstinkte. Wie das Präsentieren von Trophäen.
Aber heute sammelt man lieber Apps fürs Mobiltelefon als Briefmarken. Das stimmt. Die organisierte Philatelie hat wie andere Vereine mit Nachwuchsproblemen zu kämpfen, zumal das Internet das Sammeln ohne Vereine leichter macht. In Indien, China und Russland boomt hingegen die Szene. Mit dem wachsenden Wohlstand steigt das Interesse an den Briefmarken. Hierzulande war die Hochzeit in den 70er Jahren. Doch heutzutage haben Sie im Fernsehen zig Programme, es gibt Computer, die Menschen kommunizieren mit E-Mails und Twitter.
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Schreiben Sie noch Briefe? Ja. Sogar mir selbst.
Warum das denn? Ich hatte eine Postkarte aus den 80ern gefunden, auf der stand der Spruch: Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin. Die Post hat sich geweigert, die Karte zu befördern und stempelte auf die Karte: Sendungen mit Vermerken politisch-religiösen Inhalts auf der Aufschriftseite sind von der Postbeförderung ausgeschlossen. Ich fand das spannend, habe auf Briefe Aufkleber für und gegen Stuttgart 21 geklebt und sie mir geschickt.
Und? Sie kamen an. Anstandslos. So erzählen die Briefe Geschichten. Das ist nicht wie beim Fernseher: Knopf an und berieseln lassen. Mit Briefmarken muss man sich beschäftigen. Das ist ein schlaues Hobby für schlaue Leute. Briefmarken sind Spiegel des Weltgeschehens. So kam ich zum Sammeln.
Wie das? Als ich acht Jahre alt war, hat mir mein Patenonkel ein Album geschenkt. Wir saßen da und füllten es mit seinen doppelten Marken. Und er hat mir die Geschichten dazu erzählt. Das hat mich fasziniert. Haben Sie schon mal etwas von Postkriegen gehört?
Nein. So bezeichnet man es, wenn Länder die Briefmarken anderer Länder anstößig finden, die Marken übermalen oder die Post nicht annehmen. So hat die DDR etwa die West-Marken „Deutsche Kriegsgefangene“ geschwärzt, weil es nach sozialistischer Lesart ja keine Kriegsgefangenen in der Sowjetunion mehr gab. Die Vertriebenenmarke von 1965 hat die DDR auch geschwärzt. Im Westen hat man einen Brief mit dem Aufdruck „25 Jahre antifaschistischer Schutzwall“ nicht zugestellt. Eine schöne Geschichte ist auch die vom „Vineta“-Provisorium.
Erzählen Sie. Die „Vineta“ war ein Schiff der deutschen Marine. Sie ankerte 1901 in New Orleans. Die Matrosen feierten an Land den Geburtstag des Kaisers. Das Fest schlug Wellen, die Zeitungen berichteten davon. Weil nun jeder Matrose eine Zeitung heimschicken wollte, gingen an Bord die Briefmarken aus. Also halbierte der Oberzahlmeister die 5-Pfennig-Marken, machte 3-Pfennig-Marken daraus. Allerdings ist unter Philatelisten umstritten, ob dies richtige Briefmarken sind.
Aber sie sind wertvoll. Ja. Laut dem Standardwerk Michel-Katalog ist eine 13.000 Euro wert. Wenn sie einen finden, der es zahlt. Da sind wir wieder am Anfang. Philatelisten werden als Melkkühe betrachtet. Von der kommerziellen Philatelie wie Händlern, Versandhäusern, Zubehörherstellern und natürlich auch der Post.
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Der Post? Ja. In den 70er Jahren genügten rund 30 Euro, um alle deutschen Postausgaben eines Jahres, also aus der BRD, DDR und West-Berlin, komplett zu kaufen. Heute zahlen sie rund 100 Euro für alle Postausgaben. Mit der Inflation allein kann man das nicht erklären, sondern damit, dass jetzt Marken jeweils in der nassklebenden und selbstklebenden Version benötigt werden. Kennen Sie die Briefmarken mit den Leuchtturm-Motiven?
Ja. Die Auflage der selbstklebenden Marken beträgt rund 500 Millionen, die nassklebende gleiche Marke ist jedoch hundertmal seltener, weil dem normalen Postkunden seine Spucke zum Briefmarkenablecken zu schade ist. Die nassklebenden Sondermarken werden im Prinzip nur für Sammler herausgegeben. Die Post will mit ihren Philatelie-Produkten Gewinn erwirtschaften. Mich stört, dass suggeriert wird, dass es sich bei Briefmarken um eine Wertanlage handelt. Da ist Aufklärung gefordert.
Deshalb braucht es einen Verein? Ja. Wir tauschen uns aus. Nicht nur mit Briefmarken, sondern auch mit Informationen. Wir organisieren Ausstellungen, wir gehen in Schulen, machen Projektwochen, und wir beraten unsere Mitglieder in allen philatelistischen Lebenslagen.
Welchen Rat geben Sie Novizen? Sich nicht zu verzetteln. Ich sammle Marken aus West-Berlin. Das hat den Vorteil, dass nichts mehr dazukommt. Und ich sammle Briefumschläge aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Da hatte fast jede Stadt ihre Lokalmarken und Zensur- und Propagandastempel. Aber ich muss gestehen, mitunter verzettle ich mich auch. Aber im Prinzip sollte man sein Spezialgebiet finden und pflegen. Leider sind viele Sammlungen beliebig. Das merken wir oft bei Nachlässen.
Sie durchforsten Erbschaften? Zu uns darf jeder mit der Sammlung eines Altvorderen kommen. Wir erleben oft, dass dann jemand enttäuscht ist, dass sie nichts wert ist. Der Sammler habe doch viel Geld dafür ausgegeben. Er hat aber Spaß gehabt, er hätte das Geld ja auch versaufen können.
Briefmarken statt Bier? Es geht beides. Aber Briefmarkensammeln hält geistig fit und rege. Eigentlich sollte es die Marken auf Rezept geben.
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