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balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Badische Portobriefe Fr Jun 27, 2014 9:45 pm | |
| Hallo zusammen, Habt ihr Lust auf einen kleinen Ausflug in die altdeutsche Postgeschichte ? Dieses unscheinbare Briefchen möchte ich euch vorstellen: Am 24. Oktober 1849 ging das Damenbriefchen aus der Londoner Kings Road (London, damals sicher die größte Stadt der Welt, war wohl so bedeutend, dass man den Namen der Stadt auf den Poststempeln nicht extra erwähnen musste...) Richtung Süden zum Kanal, setzte am 25. Oktober über nach Calais, wurde durch Frankreich spediert und erreichte Heidelberg per Eisenbahn am 27. Oktober 1849. Sicher führte der Weg über die Grenze in Straßburg; der Kursstempel der Badischen Bahnpost zeigt die Beförderung nach Norden (meine Eselsbrücke: der „Polarstern“). Wer es nicht glaubt: ja, schon seit April 1848 wurde in Baden die Post per Eisenbahn befördert! (Briefe, die mit der badischen Bahnpost auf der Rheintal-Linie in Richtung Süden nach Basel befördert wurden, zeigen statt des Sterns eine „Sonne“ Diese „Cursstempel“ waren bis etwa 1854 in Gebrauch) Die Taxvermerke für die vom Empfänger zu erhebende Gebühr sind wie folgt zu lesen: 14 Kreuzer sind auf dem Portobrief für den Transport durch Frankreich notiert. Das entspricht 5 Décimes, von denen 3 Décimes auf die Beförderung in Großbritannien und den Schiffstransport entfallen, 2 Décimes blieben für Frankreich. Weitere 8 Kreuzer kassierte Baden; die (schwarz) notierten 22 Kreuzer ergeben den von Herrn Charles Graimberg ( -> http://de.wikipedia.org/wiki/Charles_de_Graimberg ) kassierten Betrag. Das Briefchen stammt übrigens von der Tochter des Grafen, den wir Heidelberger als den „Retter des Heidelberger Schlosses“ kennen. Mein Französisch ist leider nur noch sehr rudimentär erhalten geblieben – ich konnte nur erkennen, dass sie schon länger auf Post ihres Vaters wartet und etwas in Sorge bezüglich seiner Gesundheit ist, denn man hat in London von Cholerafällen in Mannheim gelesen. Falls hier jemand Interesse an „Social Philately“ aus dieser Zeit hat – und über ausreichend Sprachkenntnisse verfügt -, scanne ich auf Wunsch gerne auch den Brieftext. So weit, so gut – ein interessanter Transitbrief aus der badischen Vormarkenzeit, den ich in einem anderen Forum (mit postgeschichtlichem Schwerpunkt) vorgestellt habe. Dort hat mir ein guter Freund – und unglaublich hilfsbereiter und kenntnisreicher Helfer – noch eine ausführliche Erklärung zu den damaligen Verhältnissen im Postwesen gegeben, die ich gerne auch hier weitergeben möchte, obwohl man ja eigentlich nicht aus anderen Foren zitieren soll. Aber hier bitte ich um eine Ausnahme – ich will mich nicht mit fremden Federn schmücken ... - bayern klassisch schrieb:
-
Bei deinem Portobrief hat GB die Briefe an Frankreich verkauft, wie man heute auf dem Wochenmarkt Obst und Gemüse verkauft. 1 Pfund Äpfel = 2 Euro, 1 Unze unfrankierte Briefe über Frankreich nach Baden 1 Shilling (das ist nur eine Beispielgröße, ich kenne den Vertrag nicht auswendig). Frankreich hatte sich vor dem Vertrag mit GB ausgerechnet, was die Briefe im Schnitt wogen und wie viele auf eine Unze gingen und verkaufte sie dann gewinnbringend an Baden weiter. Baden, am Ende der "Nahrungskette", konnte nur Frankreichs Postvertrag akzeptieren und für seine Vermittlung fremder Briefe danken, denn Baden brauchte Frankreich, Frankreich aber Baden nicht wirklich.
Da nur einer bezahlen konnte, nämlich der Badener, machten Taxen in britischer oder französischer Währung keinen Sinn. Dein Brief weist sie auch nicht auf. Die badische Bahnpost (die mit dem Stern) erhielt den Brief, wog ihn (was zuvor noch keiner gemacht hatte, weil ja eh nur nach Gewicht pauschal verkauft wurde und eine individuelle Berechnung und Abwiegung nicht notwendig war) und stellte ihn als einfach fest (bis 1/2 Loth). Dann wusste man, dass er mit 14x für GB + Frankreich und nach der Entfernung mit 8x für Baden zu taxieren war.
Die Addition nahm erst der vor, der ihn dem Briefträger gab und von dessen mathematisch - arithmetischen Künsten weniger überzeugt war, i. d. R. also der Heidelberger Posthalter. Für die bad. Bahnpost war die Trennung von 14 und 8 Kr. jedoch sinnvoll, denn sie musste ersteres an Frankreich vergüten und hatte für sich letzteres zu fordern, da durfte man nicht durcheinander kommen, sonst gab es Ärger.
Der HD - Post war es völlig egal, wer wie viel zu bekommen hatte, denn sie hatte in der dazugehörigen Briefkarte von Kehl den Brief mit 22x angedient bekommen und nun für die Beikassierung zu sorgen.
Wäre der Brief nicht zustellbar gewesen, hätte er sich in der Briefkarte unter den unanbringlichen Briefen / Retourbriefen mit 22x wieder gefunden. Dann hätte die badische Bahnpost ihn den Franzosen mit dem Bemerken zurück gegeben: 8x bitte an uns später gut schreiben, der Rest geht uns Badener nichts an. Durch die Zurückrechnung war die Schuld Heidelbergs erloschen und gleichzeitig die Forderung Badens von 8x an Frankreich erhoben worden.
Frankreich hatte ihn nun mit 8x Fremdporto intern belastet an der Backe und musste seinerseits mit GB den Brief nun pauschal (er wog ja immer noch das gleiche) zurück rechnen und für die geleisteten Transitdienste seinen Teil fordern.
GB hatte ihn dann mit der badischen und französischen Forderung zurück bekommen und den Absender gebeten, den Brief mit 1 Shilling 3 Pence auszulösen. Hätte er nicht für seinen eigenen Brief zahlen können, wäre er eingesperrt worden (Schuldenturm hieß das mal).
Sorry für den kleinen, aber ausführlichen Exkurs, aber nur so kann man meiner Meinung nach dergleichen Briefe wirklich verstehen und die Bedeutung der Verträge, Laufwege und Taxen verinnerlichen. Viele Grüße Alfred (balf_de) |
| | | balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Badische Portobriefe Mi Jul 02, 2014 7:27 pm | |
| Hallo zusammen, o.k., „Portobrief e ...“ habe ich diesen Thread genannt – da sollte ich wohl doch noch mindestens einen zweiten zeigen, obwohl ich eigentlich anhand der Zugriffe ablesen kann, dass ich mit meinem Faible für das Postwesen vor Gründung des UPU hier ziemlich allein auf weiter Flur bin ... Also: einen habe ich noch – diesmal ohne Transit durch mehrere Postgebiete: Dieser Portobrief ging am 19. Dezember 1861 aus Heidelberg nach Bouxwiller im Elsass. Adressseitig wurde der Badische Verrechnungsstempel "B6K" („Baden 6 Kreuzer“) im Grenzpostamt in Kehl abgeschlagen als Hinweis für die französischen Postkollegen, dass man 6 Kreuzer für Baden beanspruchte. Auch der Grenzübergangsstempel Bade-Strasbourg vom Absendetag findet sich auf der Adress-Seite. Siegelseitig finden sich der badische Bahnpost-Cursstempel der Rheintalbahn, ein französischer Bahnpoststempel von der Linie Strasbourg-Paris vom 20. Dezember sowie der Ankunftstempel aus Bouxwiller vom gleichen Tag. Handschriftlich taxiert wurde von der französischen Post "4" - Décimes, was 12 Kreuzern entspricht. Davon behielt Frankreich 6 Kr. und schrieb Baden die geforderten 6 Kr. gut. Viele Grüße Alfred (balf_de) |
| | | balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Badische Portobriefe Mo Okt 26, 2015 8:55 pm | |
| Hallo zusammen, @Wilma hat mich mit ihrem interessanten Beitrag im Thread "Postgeschichtliche Belege" - der auch schon lange brach lag - auf die Idee gebracht, nach längerer Abstinenz auch einmal wieder etwas von meinen alten postgeschichtlichen Belegen zu zeigen. Diesmal ist es ein Vorphila-Brief (oder besser: ein Brief aus der Vormarkenzeit), der im Mai 1844 aus Lübeck nach Neuenheim bei Heidelberg lief. Neuenheim ist schon seit 1907 ein Heidelberger Stadtteil; von daher passt der Brief zur Incoming Mail meiner Sammlung. Bemerkenswert ist der hohe Betrag von 1 Gulden (f = Florin) und 33 Kreuzer, den der Empfänger Graf Kuno zu Rantzau-Breitenburg zu bezahlen hatte. Gerne würde ich euch anhand dieses Briefs zeigen, wie reizvoll es sein kann, die häufig schwer leserlichen Taxierungen auf solchem markenlosen Altpapier zu entschlüsseln: In der Hansestadt Lübeck gab es ein Postamt des Fürsten von Thurn und Taxis, der für große Teile Deutschlands das Postwesen von einer Zentrale in Frankfurt am Main aus organisierte. In diesem Postamt wurde der Portobrief aufgeliefert. Von Lübeck aus ging er per Taxis-Postkutsche zunächst nach Frankfurt, wo der Brief gewogen wurde und anschließend mit der dort üblichen blauen Tinte der Beförderungspreis durchs Taxis-Gebiet von 1 Gulden 17 Kreuzer notiert wurde. Damals kostete ein einfacher - bis maximal 1/2 Lot - schwerer Brief 22 Kreuzer, für jede weitere Gewichtsstufe kam die Hälfte - 11 Kreuzer - hinzu. Demnach hatte der Brief 6-faches Gewicht: 22 + 5 x 11 = 77 Kreuzer oder 1 Gulden 17 Kreuzer. Diesen Betrag stellte die TuT-Postverwaltung der badischen in Rechnung. Aber auch die Badener wollten ihren Anteil am "Kuchen": auch die Heidelberger Waage zeigte 6-faches Gewicht; der hiesige Postbeamte addierte zum einfachen Briefporto (auf der Kurzstrecke ab der hessischen Grenze) von 4 Kreuzern 5 x 2 Kreuzer zusätzliches Porto + 2 Kreuzer Bestellgeld hinzu. Macht zusammen 16 Kreuzer, die er mit Rötelstift im Nenner des Taxbaums notierte. Den zu kassierenden Gesamtbetrag wies er zusätzlich aus. Natürlich braucht man für das sehr komplexe Gebiet der Vormarkenzeit in Anbetracht der vielen deutschen Staaten mit unterschiedlichen Währungen und vertraglichen Vereinbarungen nicht nur viel, viel Literatur sondern auch die Erfahrung, sich in die oft reichlich verquasten zeitgenössischen Texte einzulesen. Oder man hat gute Freunde, die man vertrauensvoll fragen kann. So halte ich es, wenn es richtig kompliziert wird! Aber wenn es dann ab und zu gelingt, für relativ kleines Geld einen Brief wie den gezeigten erwerben zu können, der sicher seltener und postgeschichtlich wichtiger ist als viele teure Markenbriefe mit hohen Frankaturen, dann ist das ein wirklich schönes Erfolgserlebnis! Ein nicht ganz unwichtiger Nebeneffekt: mit der richtigen Beschreibung werden auch seltene VMZ-Briefe zu wertvollen Einzellosen bei großen Auktionshäusern. Bei eBay - wo ich ihn seinerzeit gefunden habe - werde ich ihn jedenfalls bestimmt nicht verkaufen … Na, habe ich euch Lust gemacht auf postgeschichtliches Altpapier … Viele Grüße Alfred (balf_de) |
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