Mit dem staatlichen Postamt verschwindet eine uralte Institution, die uns mit der Ewigkeit verband
Mag man die geplante Aufgabe der letzten 750 kleineren Postfilialen auch für ökonomisch sinnvoll halten, so beendet dieser weitere Schritt zu Auflösung des Postmonopols doch auch eine Jahrhunderte währende Geschichte. Seitdem Kaiser Rudolf II. im Jahre 1595 Leonhard von Taxis das Patent als Reichs-General-Oberstpostmeister erteilt hatte, zählte das Postwesen zu den kaiserlichen Regalien, gab es eine staatliche Posthoheit, die durch ein eigenes Postrecht geschützt wurde. Jahrhunderte vor dem worldwideweb wurden Reich und Welt so von der Post verbunden und zusammengehalten.
Als Kevin Costner 1997 die USA in seinem Film "Postman" ausgerechnet in einer Postuniform aus dem Tohuwabohu nach einem Atomkrieg rettete, ahnte er wohl gar nicht, dass er damit in einer langen Tradition stand. Hatte Jahrhunderte lang ein Spieß zur Grundausstattung aller Postboten gehört, so sorgten später deren Uniformen und ihre zahlenmäßige Übermacht für den nötigen Respekt. Angriffe auf die Botenehre gingen nun weniger von den allein stehenden Frauen altgedienter Briefträgerwitze als von allein stehenden Hunden aus, die ihre eigenen Vorstellungen von Hoheitlichkeit hatten und deren täglicher Verletzung durch uniformierte Sparringspartner entgegenfieberten.
Um 1895 legten in Deutschland rund 30 000 Landbriefträger zu Fuß jährlich rund 204 Millionen Kilometer zurück und wirkten dabei nach einer zeitgenössischen Quelle "segensreicher auf den Verkehr als das bloße Begehen der Bezirke durch den Gendarmen". Mit jedem Briefgange sei die ländliche Bevölkerung "mehr und mehr in den großen Kreis allgemeiner Interessen gezogen" worden. Und mehr noch als die seinerzeit als Innovation gepriesene "Anbringung von Briefkasten, welche von den Landbriefträgern auf ihren Gängen regelmäßig geleert werden", trug die Einrichtung von "Postanstalten" dazu bei.
Ende des 19. Jahrhunderts kam eine dieser Anstalten auf durchschnittlich 1477 Deutsche, was man als durchaus flächendeckend bezeichnen kann. 1904 zählte man im "Reichspostgebiet" 38 658 Postanstalten, darunter allein 151 im aufstrebenden Berlin. Zu Briefen und Postkarten kamen bald Telegramme und Pakete hinzu, deren Zahl nach 1945 noch einmal deutlich zulegte.
Nun schwappte die Welle der Care-Pakete zurück. Besonders vor den Festtagen sorgten schwer beladene Paketversenderinnen auf den Ämtern dafür, dass ihre nach Kalifornien ausgewanderten Söhne und Töchter Weihnachten in langen Unterhosen feiern konnten und die Neffen "jenseits des Eisernen Vorhangs" mit Nietenhosen versorgt waren.
Postlagernd in den großen Ämtern von Prag, Paris, New York hatten nach 1933 auch Botschaften verlorener Söhne und Freunde auf deren exilierte Empfänger gewartet. Längst nicht alle Postämter darf man sich als großstädtische Marmorpaläste vorstellen, doch wenn Bahnhöfe die Kathedralen des kaum enden wollenden 19. Jahrhunderts waren, so waren die Postämter dessen Kapellen. In ihnen wurde dem wachsenden Weltverkehr gehuldigt. Hier wurde profanes Papier durch zeremonielle Akte in Dokumente verwandelt. Jeder Federstrich war ein Hoheitsakt, jeder Stempel verlieh Postsachen ein unauslöschliches Siegel.
Lange vor Internetcafés sorgten Dorfpostämter für den freien Datenaustausch. Deren Mitarbeiter waren oft besser informiert als die Führung der Telekom heute, und jener Landbriefträger, der meiner Urgroßmutter einst eine Postkarte mit den Worten "Frau Thomsen, Sie kriegen Besuch!" überreichte, wird keine Ausnahme gewesen sein.
Dabei ging alles nach Vorschrift zu und das nicht nur in Deutschland, wie der argentinische Schriftsteller Julio Cortázar schon im Titel einer Erzählung andeutete: "Man klebe die Briefmarke in die rechte obere Ecke des Umschlags." Nicht von ungefähr begannen die fröhlichen Anarchisten in seinen grotesken "Geschichten der Cronopien und Famen" 1962 ihren Angriff auf die bürgerliche Ordnung deshalb in einem Postamt, wo sie Pakete teerten und federten und sakrosankte Postformulare in einen Schwarm bunter Papierflieger verwandelten.
Auch in Arno Schmidts Endzeitfantasie "Schwarze Spiegel" (1949) führt der Weg aufs Postamt, das mit einem Handbeil geöffnet wird "Mit einem Satz war ich auf dem Zahlbrett und hinüber, im Allerheiligsten. In Büchern blättern. Einschreibliste, Geld war gezahlt, Stempel ragten von ihren dörrenden Kissen, Tinte trocknete rot und schillergrün, nutzlos hingen die milchernen Lampenkugeln, albern, antiquiert wie ein Blinddarm."
Dass hier vom "Allerheiligsten" gesprochen wird, enthüllt seinen wahren Hintersinn erst, als der letzte Mensch dann eine letzte Postkarte schreibt. Die geht an einen längst verewigten Kollegen Schmidts, dessen biblisches Heldengedicht "Der Messias" schon zu seinen Lebzeiten als schwer lesbar gegolten hatte. Entsprechend lautet die Botschaft, die dem Herrn Klopstock in die Ewigkeit nachgesandt wird: "Anbei den Messias zurück."
Der rabiate Atheist Schmidt weist hier nicht nur ein literarisches Opus, sondern gleich das ganze Christentum zurück. Dass er dazu ein verwaistes Postamt nutzt, ist schon mehr als bloße Ironie. Ist man einer Redensart zufolge vor Gericht und auf hoher See ganz in der Hand Gottes, so sah man sich in einem traditionellen Postamt zumindest in der Hand des Schicksals. Dass man hier bedient werden würde, war so sicher wie der Tod, nur die Stunde war ungewiss, denn wie im Paradies gab es hier zumindest eine Schlange, die einem freilich keinen Apfel, sondern nur ihr schnödes Hinterteil darbot.
War man nach geduldigem Warten an deren besseres Ende vorgerückt und hatte sein Anliegen vorgebracht, sah man sich bisweilen mit einem nach oben gereckten Zeigefinger konfrontiert. Der verwies einen zwar nicht direkt auf den Willen des HERRN, aber auf die über dem Schalter befindlichen Worte: "Hier nur Einzahlungen".
Aber soweit musste man erst einmal gekommen sein. Doch wer garantierte einem, dass das alte Mütterchen vor einem nicht plötzlich ein Postsparbuch zücken würde, um darin die Zinsen seit 1932 nachtragen zu lassen? Oder dass der silberhaarige ältere Herr mit der Goldrandbrille hinter ihr - aber vor einem - aus seinem zierlichen Kalbslederaktentäschchen nicht 120 jeweils mit einem kompletten Satz Sondermarken bestückte Ersttagsbriefe ans Tageslicht befördern würde, um sie alle aufs Sorgfältigste abstempeln zu lassen?
Dann kam die Stunde der wahren Empfindung, die sich, wie so mancher Wahrheitsbegriff, als dehnbar erwies. Aus dem markigen Doppelschlägen, aus dem Wupp-Wumm, Wupp-Wumm, mit dem frohgemute Postbeamte sonst den Stempel zwischen Stempelkissen und Briefen hin und her springen ließen, wurde dann ein weihevoll verlangsamter Akt voll vibrierender Spannung, der sich stundenlang wiederholen konnte. Wussten die Stempelnden doch, dass sie hier nicht mehr für die profane Tagespost, sondern für die Ewigkeit wirkten, dass die sauberen Abdrücke, die sie auf den Briefen hinterließen, sie alle und die Leute in der Schlange und den Schalter und selbst das Postamt in ledergebundenen Sammelalben überdauern würden. Das ist ihnen jetzt schon fast gelungen.
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