Sie riskierten ihr Leben für ein paar Briefe: Als die ersten Postflieger in ihre klapprigen Flugkisten stiegen, gehörten technische Pannen und Bruchlandungen zum Arbeitsalltag. Ruhm und Abenteuer entschädigten für die Gefahren, doch kaum ein Flug gelang ohne Zwischenfall - oft der skurrilen Art.
Wenige Stunden, nachdem Dean Smith knapp dem Tode entronnen ist, schreibt er ein Telegramm: "auf strecke 4 westwärts. tiefflug. motorschaden. notlandung nur auf kuh möglich. kuh tot. maschine bruch. ich zu tode erschrocken."
Smith hatte einen Job, in dem spektakuläre Pannen und lebensgefährliche Manöver zum Alltag gehörten - er war nach dem Ersten Weltkrieg Flieger des amerikanischen Luftpostdienstes. Der rühmte sich damit, die Postsäcke bei jeder Witterung zuverlässig ans Ziel zu bringen - bei jeder Witterung. Abenteuerlust und Verwegenheit waren die wichtigsten Einstellungsvoraussetzungen in einem Job, der allein zwischen 1918 und 1927 insgesamt 34 US-Luftpost-Piloten das Leben kostete - und damit etwa jeden sechsten Postflieger.
Denn ihre Fluggeräte - ehemalige Schulflugzeuge der Armee - waren alles andere als zuverlässig. Smith bezeichnete seine Truppe später als "Selbstmörderverein". Die Piloten waren risikofreudige Grenzgänger, wie es heute vielleicht noch Free-Solo-Kletterer oder Apnoe-Wettkampftaucher sind - mit dem Unterschied, dass es bei den Fliegern häufiger an technischem als an menschlichem Versagen lag, wenn es zu einem Unfall kam.
Notlandung in der Küche
Immer wieder fielen Motoren aus, vereisten Vergaser oder gaben Propeller ihren Geist auf. Allein im Jahr 1921 kam es bei der US-Post zu 1764 Notlandungen - die Hälfte davon wegen mechanischer Fehler, die andere Hälfte wegen Regengüssen, Stürmen oder Nebel.
Da die Kompasse anfällig für Fehler waren, orientierten sich die frühen Piloten lieber an markanten Landpartien. Ein Instrumentenbrett mit Höhen- und Geschwindigkeitsmesser und Benzinanzeige sei sowieso "nur dazu da, das Cockpit zu verrammeln und von dem Schienenstrang oder Flussbett abzulenken, dem man nachfliegt", sagte Harold "Slim" Lewis, einer der besten Flieger seiner Zeit. Doch auch er bescherte einmal einer Bauernfamilie unerwünschten Besuch, als er mit seiner Maschine in deren Küche donnerte.
Jeder neue Start war für diese Piloten ein Adrenalinkick, der sie die Angst vor Unfällen vergessen ließ: "Das Leben war so anregend und ausgefüllt, dass jede Alternative eintönig, prosaisch und fade erschien", schrieb Smith später. Einige der todesmutigen Männer wurden populär wie Filmstars, und ihre gefährlichen Ausflüge lieferten die Grundlage dafür, dass später die ersten regelmäßigen Passagiermaschinen ihren Dienst aufnehmen konnten.
Acht Kilometer in 13 Minuten Der erste offizielle Posttransport in einem Flugzeug gelang auf der Welt-Postausstellung im indischen Allahabad und ging über eine Distanz von acht Kilometern: Am 18. Februar 1911 brachte der 23-jährige französische Pilot Henri Pecquet in einem Humber-Doppeldecker 6500 Briefe ins Nachbardorf Naini. Bei strahlend blauem Himmel brauchte er 13 Minuten für seine Pionierleistung. Die Sonderstempel des Fluges sind bis heute gesuchte Raritäten unter Briefmarkensammlern.
Bereits wenige Monate später wurde in England eine regelmäßige Luftpostverbindung zwischen London und Schloss Windsor im Westen der britischen Hauptstadt eröffnet. Auch in Deutschland richtete man im Jahr 1912 einen Flugdienst zwischen Mannheim und Heidelberg sowie weiteren Strecken ein, die jedoch bald wieder eingestellt wurden. Dann brach der Erste Weltkrieg aus, und das Interesse der Fliegernationen verlagerte sich vom Gütertransport auf die Frage, wie sich Maschinengewehre und Bomben an Flugzeugen befestigen ließen. Als Star verehrt wurden nicht mehr die Briefträger der Lüfte, sondern Kriegshelden wie der "Rote Baron" Manfred von Richthofen.
Doch mit dem Ende des Krieges im Jahr 1918 suchten viele Militärpiloten nach neuen Jobs, auch an Flugzeugen herrschte kein Mangel. So war der Zeitpunkt günstig, um feste Luftpostrouten einzuführen.
Pannen bei der Premiere In den USA verlief die erste Luftpoststrecke zwischen dem Wirtschaftszentrum New York und der Hauptstadt Washington. Am 15. Mai 1918 kamen Tausende Zuschauer, unter ihnen auch US-Präsident Woodrow Wilson, um Zeugen des Premierenfluges zu werden. Doch als Pilot George Boyle die Zündung seiner "Jenny" betätigen wollte, tat sich zunächst nichts. "Wir vergeuden hier nur wertvolle Zeit", soll Wilson gesagt haben, bevor den Technikern einfiel, dass sie vergessen hatten, das Flugzeug zu tanken.
Doch nicht nur die Wartungsabteilung hatte einen schlechten Tag erwischt: Nach dem Start flog Boyle versehentlich nach Süden statt nach Norden und landete auf einem Acker, 40 Kilometer entfernt vom Abflugsort. Sein Kompass habe "irgendwie verrückt gespielt", entschuldigte sich der Orientierungslose telefonisch bei seinem Chef. Ein Lastwagen brachte die Postsäcke zum Flughafen zurück. Glücklicherweise kamen drei seiner Kollegen im Laufe des Tages ohne weitere Komplikationen ans Ziel, und von nun an verkehrten an jedem Wochentag Postflieger zwischen den Großstädten.
Der risikoreiche Lufttransport war lange Zeit umstritten, da Züge zunächst schneller und zuverlässiger waren und größere Mengen Post laden konnten. Im US-Kongress hatten die Post-Pioniere Schwierigkeiten, Argumente für weitere Finanzspritzen zu liefern, zumal die häufigen Todesfälle ihrem Image schadeten. Einen tragischen Rekord stellte John P. Charlton jr. Im Oktober 1919 auf, als er nach nur zwei Tagen im Dienst tödlich verunglückte. Für die Zeitung "New York Sun" war die Luftpost nicht mehr als eine lebensgefährliche Modetorheit.
Vier Postladungen und ein Todesfall Doch statt auf die Kritiker zu hören, planten Post und Piloten längst ein neues Wagnis, um allen zu beweisen, dass ihre Flugzeuge den Zügen himmelhoch überlegen waren: den ersten ununterbrochenen Transkontinentalflug zwischen San Francisco und New York. Das waren mehr als 4200 Kilometer Strecke, von der ein Teil bei Nacht bewältigt werden musste - im Winter in oben offenen Flugzeugen. In kleinen Etappen sollte die Post im Staffellauf-Prinzip von Pilot zu Pilot weitergereicht werden.
In den frühen Morgenstunden des 22. Februar 1921 starteten in New York und San Francisco je zwei De-Havilland-Maschinen mit ihrer Brieffracht. Der Versuch von Osten nach Westen endete schon beim zweiten Zwischenstopp in Chicago, weil Schnee und Nebel die Flieger am Weiterflug hinderten. In der Gegenrichtung kam es zur Tragödie, als der William Lewis (nicht verwandt mit "Slim"), erst seit vier Monaten im Dienst, im Steigflug von Elko im Bundesstaat Nevada die Kontrolle über seine Maschine verlor und abstürzte. Der junge Pilot war sofort tot.
Den Verantwortlichen war klar, dass ein Misserfolg die Zukunft der Luftpost in den USA gefährden konnte, also sammelten Bergungsarbeiter die Postsäcke neben dem Wrack ein und ließen wenige Stunden später einen Ersatzpiloten weiterfliegen.
Geschwindigkeitsrekord über den Wolken In Omaha drohte das Unternehmen erneut zu scheitern. Die Piloten, die von hier per Nachtflug die Fracht weiter gen Osten tragen sollten, steckten noch in Chicago fest. So entschied sich der soeben gelandete Flieger Jack Knight, eine zusätzliche Nachtschicht einzulegen - auf einer 695 Kilometer langen Strecke, die er vorher noch nicht einmal bei Tag geflogen war. Zwischenzeitlich musste er wegen miserabler Sicht knapp über den Bäumen fliegen, später hielt sich der übermüdete Pilot mit Schlägen ins Gesicht wach. Zur Orientierung dienten sein Kompass und eine Straßenkarte sowie die Lichter am Boden.
Um 8.40 Uhr morgens, mehr als sechs Stunden nach dem Start in Omaha, setzte er in Chicago auf, wo er als Held empfangen wurde. Die restlichen Etappen waren für seine Kollegen ein Kinderspiel, und mit einer neuen Weltbestzeit von 33 Stunden und 20 Minuten kamen die Postsäcke um 16.50 Uhr am New Yorker Flughafen Hazelhurst Field an - etwa 65 Stunden schneller als per Zug.
Die amerikanischen Zeitungen feierten die Sensation auf sämtlichen Titelseiten. Trotz Lewis' Tod und trotz des Chicago-Debakels schlug wie erhofft die Meinung im Kongress um: Mit einer deutlichen Mehrheit wurden weitere Investitionen in die Luftpost bewilligt, die in den Folgejahren dank verbesserter Technik immer zuverlässiger und sicherer wurde. Für manchen Flugveteranen alter Schule war das irgendwann sogar zuviel des Guten: Nach Jahren als Chef-Testpilot bei Boeing zog sich "Slim" Lewis 1947 aus der Fliegerei zurück und kümmerte sich fortan nur noch um seinen Bauernhof - mit den ganzen Instrumenten und bunten Anzeigen im Cockpit hatte ihm der Job einfach keinen Spaß mehr gemacht.
Video vom letzten Flug: Das Postflugzeug Douglas M-2
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