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Autor | Nachricht |
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balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Social Philately Fr Nov 25, 2011 3:33 pm | |
| Hallo zusammen! Heute möchte ich gerne noch einmal einen Versuch starten, euch für eine aktuelle Entwicklung in der Philatelie zu interessieren, die allerdings zumindest von den Thematikern hier im Forum verlangt, ziemlich weit über den berühmten Tellerrand hinaus zu schauen. Da gibt es in einem Postgeschichtler-Forum derzeit eine lebhafte Diskussion zu einem relativ neuen Begriff: der „Social Philateliy“. Offenbar ist diese spezielle Art des Sammelns nicht ganz neu – im englischsprachigen Raum tauchte der Begriff schon in den 1980er Jahren auf; es gibt dort sogar schon eine Ausstellungsordnung für entsprechende Exponate ( -> http://sites.google.com/site/yorkps/guidelines-for-social-philately ) Deutschsprachig lässt sich derzeit nur der Thread im angesprochenen Postgeschichte-Forum „ergoogeln“ – Wikipedia kennt den Begriff jedenfalls noch nicht. Es ist zunächst gar nicht ganz einfach zu verstehen, was sich konkret hinter diesem Begriff verbirgt. Wenn ich die „Guidelines“ der oben zitierten Ausstellungsordnung richtig interpretiere, soll ein komplettes Ausstellungsexponat unter ein Motto gestellt werden, das die soziologischen Aspekte statt der rein Post-bezogenen in den Vordergrund stellt. Die philatelistische Seite ist nicht mehr der eigentliche Gegenstand der Sammlung sondern nur noch „Mittel zum Zweck“ – die Belege dienen als Vehikel, um eine Botschaft zu transportieren. Um es auf den Punkt zu bringen: weder Frankatur noch Beförderungstechnik oder Leitweg sind relevant sondern vielmehr der Inhalt eines Briefs. Meine grundsätzliche Meinung zu diesem „modernen“ Ableger der Philatelie ist klar: sie beinhaltet zwangsläufig eine Abkehr von der Postgeschichte – und mehr noch von der traditionellen Philatelie -; ich würde es für falsch halten, wenn z.B. der BDPh auf diesen Zug aufspringen und eine entsprechende Wettbewerbsklasse einführen würde: eine weitere Aufsplitterung würde bestimmt nicht zu mehr Exponaten führen – bestenfalls zu noch mehr Medaillen (an immer die Gleichen ...) Auch die Idee, mit einem neuen Ansatz neue Sammler für unser Hobby zu werben, halte ich für wenig zielführend. Alleine die Tatsache, dass es sich um ein ausgesprochen schwieriges Gebiet handelt (wenn auch nicht unbedingt um ein teures), wird gerade junge Leute eher abschrecken. Aber trotzdem: Die Idee, bei alten Briefen nicht nur auf Poststempel und Briefmarken zu achten, sondern sich auch in die Zeit zu versetzten, in der sie entstanden sind, hat etwas Faszinierendes. Fasst man den Begriff „Social Philately“ nicht ganz so dogmatisch sondern sieht vielmehr eine Ergänzung der postgeschichtlichen Betrachtungsweise, dann bin ich damit sehr einverstanden. Da gibt es gute Beispiele, wo das „soziale Umfeld“ eines Briefs von Bedeutung ist, ohne dass der postgeschichtliche Kontext in den Hintergrund tritt: warum wurde im Jahr 1866 ein Brief aus Heidelberg über Frankreich nach England geschickt statt über Köln und Belgien, obwohl das mehr Porto kostete? Antwort: Es war Krieg – und Baden stand (leider) auf der Seite der Gegner Preußens … Auch jede Rechnung, die vor 150 Jahren geschrieben wurde, ist streng genommen ein Dokument mit soziologischem Hintergrund: wir erfahren, dass der Käse aus dem Allgäu wesentlich billiger war als der aus der Schweiz. Oder dass ein Heidelberger Schreiner Holz aus dem Schwarzwald bezog. Auch, dass man manchmal bis zu 20 % Skonto bei sofortiger Zahlung abziehen durfte oder ein halbes Jahr Zahlungsziel hatte … Und Rechnungen, Mahnungen, Zahlungsbefehle oder auch Nachnahmen sind eigentlich in jeder Klassik-Sammlung der Hauptanteil der noch erhalten gebliebenen Belege – Liebesbriefe sind (leider) kaum einmal dabei … Eines muss allerdings beachtet werden: man muss Handschriften lesen lernen! Wer das nicht fleißig übt – und besser noch, gute Freunde hat, die es schon können – der wird das Projekt „Social Philately“ bald frustriert ad acta legen. Wer meinen Text geduldig bis hierher gelesen hat, der hat sich auch redlich verdient, dass ich ihm auch bildlich zeige, was ich meine: Zeigen möchte ich euch aus meiner „Heidelberg“ – Sammlung einen der ältesten Belege. Postgeschichtlich betrachtet, ist es meine älteste Drucksache: Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz, der Winterkönig, einer der Mitverursacher des Dreißigjährigen Kriegs (siehe -> http://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_V._(Pfalz) ) ruft hier seine Ritter zur Kampfbereitschaft auf – einer davon war „unser lieber getreuer Hanß Christophen von Venningen und seiner mit Lehens genoßen p.“, der einem Kraichgauer Rittergeschlecht angehörte. Ich denke, dass es sich hier nicht nur um ein postgeschichtliches Dokument handelt sondern gleichfalls um ein zeitgeschichtliches – also: „Social Philately“ (Aber was denkt ihr: wie lange braucht man wohl, bis man eine Ausstellungssammlung „Der Dreißigjährige Krieg“ zusammengetragen hat?) Vielleicht, vielleicht gelingt es mir diesmal, den einen oder anderen unter euch zu einer Meinungsäußerung - oder vielleicht auch zu einem Beispiel für "Social Philately", wie ihr sie seht, zu bewegen. Dass wäre schön Viele Grüße balf_de |
| | | kawa Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately Fr Nov 25, 2011 5:40 pm | |
| - balf_de schrieb:
Vielleicht, vielleicht gelingt es mir diesmal, den einen oder anderen unter euch zu einer Meinungsäußerung - oder vielleicht auch zu einem Beispiel für "Social Philately", wie ihr sie seht, zu bewegen. Dass wäre schön
Viele Grüße balf_de Guten Abend balf_de M.E. finde ich diese neue Sparte überflüssig, denn dies könnte und kann man, wenn überhaupt (Philatelie ? ), unter der Rubrik Offene Klasse zeigen. Viel wichtiger wäre einmal International Reglement für die verschiedenen Ausstellungsklassen zu erstellen. Ich spreche da zum Beispiel die jüngste Klasse EINRAHMEN an. Die Niederländer haben diese Klasse erfunden (nicht die Schweizer ) um Junge Einsteiger für die Philatelie zu Begeistern. Verschiedene Ausstellungen in der Schweiz haben sich nach dieser Idee gerichtet. Wenn ich aber zurück zur Ausstellung in Chur schaue, ging diese Idee völlig in die Hose. Da sah man eine Einrahmen-Ausstellung, mit Material die pro Rahmen mindestens 20'000.00 Euro Investition benötigte. Also nochmals, eine Internationale-Richtlinie für alle Klassen wäre m.E. viel wichtiger. Gruss kawa _________________ Motivsammeln ist spannend und lehrreichwww.walter-kalt.ch über 25'300 Briefmarkenabbildungen Motiv Luftfahrt 51 Sammelblätter Offene-Klasse 48 Sammelblätter thematisch über 4100 Belege Abbildungen zur Luftfahrt |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately Fr Nov 25, 2011 6:09 pm | |
| - kawa schrieb:
Ich spreche da zum Beispiel die jüngste Klasse EINRAHMEN an. Die Niederländer haben diese Klasse erfunden (nicht die Schweizer ) um Junge Einsteiger für die Philatelie zu Begeistern. Verschiedene Ausstellungen in der Schweiz haben sich nach dieser Idee gerichtet. Wenn ich aber zurück zur Ausstellung in Chur schaue, ging diese Idee völlig in die Hose. Da sah man eine Einrahmen-Ausstellung, mit Material die pro Rahmen mindestens 20'000.00 Euro Investition benötigte.
Hallo @kawa, in Österreich hat man, um diese Auswüchse hintanzuhalten, wie ich denke einen brauchbaren Weg gefunden. Es gibt bei uns die 1-Rahmen Einstiegsklasse und die 1-Rahmen Exponate Bei der 1-Rahmen Einstiegsklasse werden keine Teilnehmer zugelassen, die schon einmal in einer Wettbewerbs-Klasse mit einem anderen Exponat an einer Ausstellung teilgenommen haben. Bei den anderen 1-Rahmen Exponaten kann und wird es natürlich vorkommen, dass viele teure und seltne Belege enthalten sind - ist der Zweck doch damit definiert: "...bei Wettbewerbsausstellungen Exponate zu zeigen, die wegen ihres eng begrenzten Themas für große, umfangreiche Sammlungen nicht geeignet sind."Ich denke doch, dass Beides nebeneinander sehr wohl seine Berechtigung hat, ja sogar sinnvoll ist. Herzliche Sammlergrüße Gerhard |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately Fr Nov 25, 2011 6:30 pm | |
| - balf_de schrieb:
Vielleicht, vielleicht gelingt es mir diesmal, den einen oder anderen unter euch zu einer Meinungsäußerung - oder vielleicht auch zu einem Beispiel für "Social Philately", wie ihr sie seht, zu bewegen. Dass wäre schön
balf_de Hallo @balf_de, als neue Wettbewerbsklasse würde ich diese Art zu Sammeln auch nicht gerne sehen - deine Argumente dagegen kann ich da nur unterschreiben. Dennoch kann es sehr reizvoll sein, auf diese Art eine Sammlung aufzubauen. Ein sehr guter Sammlerfreund von mir hat z.B. die gesamte Korrespondenz eines Soldaten des WWII und zusätzlich dessen Tagebuch(Hefte) erhalten. Auch unter Berücksichtigung der Briefinhalte wurde daraus ein recht umfangreiches und beeindruckendes Exponat! Die Notwendigkeit für eine neue Wettbewerbsklasse sehe ich auch nicht - denn eine Teilnahme sogar im Wettbewerb ist ja durch die Offene Klasse möglich. So wie du auch, möchte ich die geduldigen Leser meiner Antwort auch belohnen: Hier handelt es sich aber nicht um eine Karte des oben erwähnten Exponates, sondern um eine Karte aus meinem Fundus (von 1916). Herzliche Sammlergrüße Gerhard PS.: Der Text der Karte: Herzliebste Eltern! Habe heute nach 5 Monaten wieder die erste Post empfangen und gleich 6 Karten auf einmal, wie mir da ums Herz geworden ist, könnt ihr euch denken. Ich danke dem Allmächtigen dass ich euch noch gesund weiß auch ich bin noch wohlauf! Vom Arbeiten bin ich vorläufig enthoben, sollte hier operiert werden, habe jedoch nicht eingewilligt. Habe zugleich von Wöll-Sepp und Fritzl und von der Pepi Karten bekommen. Das Geld über China habe ich auch erhalten, seid bestens bedankt dafür. In Nikolsk konnte ich zusetzen und habe mich auch sehr gut erholt. …….. (Textstelle durch Zensur unleserlich gemacht) …… Was mir das Herz schwer macht ist, dass ich als Kriegsgefangenr nach Hause kommen soll. Bleibt mir alle gesund und seid vieltausendmal gegrüßt Von Eurem Toni Der Peperl werde ich in einigen Tagen schreiben einstweilen 100.000 Busserln.
Zuletzt von Gerhard am Fr Nov 25, 2011 7:01 pm bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet (Grund : Kartentext hinzugefügt) |
| | | balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 12:18 am | |
| Hallo Gerhard!
Schön, dass wir beide bei der Beurteilung dieses modernen Trends der Philatelie voll auf einer Linie liegen!
Das ist ja ein unglaublich starker Beleg, den Du uns zeigst. Es läuft einem kalt den Rücken hinunter, wenn man das unendliche Leid der Generationen vor uns derart hautnah vor Augen geführt bekommt. Wie klein und unbedeutend sind dagegen die Probleme, mit denen wir heute konfrontiert werden (oder uns über Dinge ärgern, die dies wirklich überhaupt nicht wert sind).
Jedenfalls ist Dein Beispiel „Social Philately at it’s best“! Vielen Dank fürs Zeigen.
Ich denke, wir sollten unsere Moderatoren bitten, diesen Thread aus der Altdeutschland-Ecke herauszuholen - ich hatte ihn in Anbetracht meiner eigenen Belege hier eingestellt -, aber er passt viel besser in einen allgemeineren Abschnitt des Forums: allein was die politisch beeinflussten sozialen Aspekte anbetrifft, lassen sich bestimmt auch aus der Zeit zwischen den Kriegen, aus den ersten Nachkriegsjahren (@Kontrollratjunkie!) oder aus der Zeit des kalten Kriegs – Postkrieg! – relevante Beispiele finden.
Viele Grüße balf_de
|
| | | Kontrollratjunkie Moderator
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 2:02 am | |
| - balf_de schrieb:
-
Ich denke, wir sollten unsere Moderatoren bitten, diesen Thread aus der Altdeutschland-Ecke herauszuholen - ich hatte ihn in Anbetracht meiner eigenen Belege hier eingestellt -, aber er passt viel besser in einen allgemeineren Abschnitt des Forums: allein was die politisch beeinflussten sozialen Aspekte anbetrifft, lassen sich bestimmt auch aus der Zeit zwischen den Kriegen, aus den ersten Nachkriegsjahren (@Kontrollratjunkie!) oder aus der Zeit des kalten Kriegs – Postkrieg! – relevante Beispiele finden.
Hallo balf_de, eine Verschiebung ist sicher kein Problem. Ich habe das Thema jetzt unter "Briefmarken Allgemein" einsortiert. Wegen der Belege werde ich nachsehen, aber etwas Passendes zu diesem Thread werde ich schon finden. Gruß KJ |
| | | kawa Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 2:26 pm | |
| vom 10.10.1942 bzw. 13.10.1942 habe ich einen Feldpostbrief. Leider kann ich nicht alles entziffern. Wer kann helfen ? Gruss kawa _________________ Motivsammeln ist spannend und lehrreichwww.walter-kalt.ch über 25'300 Briefmarkenabbildungen Motiv Luftfahrt 51 Sammelblätter Offene-Klasse 48 Sammelblätter thematisch über 4100 Belege Abbildungen zur Luftfahrt |
| | | Polarfahrtsucher Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 4:11 pm | |
| Hallo, habe auch noch einen Beleg hier, der gut zum Thema passen könnte. Hier eine Postkarte von Teneriffa / Spanien nach Deutschland vom Januar 1940. Die Karte durchlief sowohl die spanische als auch deutsche Zensurstelle. Auf der Rückseite befindet sich eine Beschreibung der Kriegswirren zu Beginn des 2. Weltkriegs. Hoffentlich ist der Schreiber lange genug auf Teneriffa geblieben um den weiteren Schrecken des Krieges zu entgehen. Gruss Klaus |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 4:17 pm | |
| - kawa schrieb:
- vom 10.10.1942 bzw. 13.10.1942 habe ich einen Feldpostbrief.
Leider kann ich nicht alles entziffern. Wer kann helfen ?
Gruss kawa Hallo Walter, ich will es einmal versuchen: Liebe Eltern und Geschwister! 10.10.42 Herzlichen Dank für euer liebes Paket, der Inhalt hat mir sehr gut geschmeckt habe es vorgestern erhalten. Durch den Umzug, den wir schon wieder einmal vorgenommen bin ich nicht dazu gekommen euch sehr dafür zu danken. Gestern hatte ich beim Arbeiten Pech gehabt, ein Balken ist mir auf die Hand gefallen und den kleinen Finger hat es tüchtig mitgenommen. Der Nagel geht ab, konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Nun fängt die ganze Sch… auch noch an zu Eitern. Sonst bin ich gesundheitlich noch auf Draht. Ich hoffe dass es Euch auch so geht, nun ist xxx ja auch wieder zu Hause, da wird sie aber froh sein. Doch für heute schließe ich mit den herzlichsten Grüßen. Viele Grüße an alle Verwandten, Euer HansHerzliche Sammlergrüße Gerhard |
| | | Kontrollratjunkie Moderator
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 4:27 pm | |
| Hallo kawa,
jetzt ist mir @Gerhard zuvor gekommen, ich habe meine Übersetzung wieder gelöscht, stimme aber seinem in allen Teilen Versuch zu. Den Namen "xxx" würde ich mit "Dorit" entziffern.
Gruß KJ |
| | | kawa Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 6:36 pm | |
| Herzlichen Dank an @ Gerhard und @ Kontrollratjunkie für Eure Mühe.
Gruss kawa _________________ Motivsammeln ist spannend und lehrreichwww.walter-kalt.ch über 25'300 Briefmarkenabbildungen Motiv Luftfahrt 51 Sammelblätter Offene-Klasse 48 Sammelblätter thematisch über 4100 Belege Abbildungen zur Luftfahrt |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately So Nov 27, 2011 10:52 pm | |
| - kawa schrieb:
- vom 10.10.1942 bzw. 13.10.1942 habe ich einen Feldpostbrief.
@kawa Der Brief kommt übrigens von einem Stabsanghörigen des Panzer-Artillerie-Regimentes 88 aus Orel an der Ostfront. Herzliche Sammlergrüße Gerhard PS.: (man muss nicht alles wissen, man muss auch nicht wissen wo etwas geschrieben steht, man muss nur wissen, wen man um etwas fragen kann)
Zuletzt von Gerhard am Sa Sep 21, 2013 11:03 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet |
| | | balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately Mo Nov 28, 2011 7:01 pm | |
| Hallo zusammen! Als ich den Brief zum ersten Mal sah, freute ich mich über eine schöne Einzelfrankatur der Baden Nr. 12 – einer schwierigen Marke, da lichtempfindlich und selten gut gezähnt (die gemeinsam von Baden und Württemberg angeschaffte Zähnungsmaschine arbeitete nur selten fehlerfrei), die überdies einen klaren Abschlag des Heidelberger Nummernstempels „57“ zeigt: ein korrekt frankierter Brief innerhalb des Gebiets des Deutch-Österreichischen Postvereins, der über 20 Meilen weit befördert wurde. So weit so gut. Um das Alter des Briefs genau zu bestimmen, war es erforderlich, den Inhalt genauer anzusehen – aus den Stempeln geht das Jahr nicht hervor. Aber hier fand ich nicht nur sehr schnell den Jahrgang – 1862 – sondern auch einen selten gut lesbaren Text: das Protokoll einer Tagung der süddeutschen Liberalen in Frankfurt. Der Empfänger, Freiherr von Hoverbeck (-> http://www.ostdeutsche-biographie.de/hovele75.htm ) und auch der Absender, Herr Baumgarten (-> http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Baumgarten ) lassen sich im Internet leicht finden. Und die Namen der Beteiligten lesen sich wie das Who is Who des Liberalismus im 19. Jahrhundert. Schön, wie auf der zweiten Seite (unter Punkt 7) eine diplomatische Lösung für die Frage, ob zukünftig auch österreichische Delegierte eingeladen werden sollten, gefunden wird … Klein- oder Groß-Deutschland - ja, das ist Politik, wie wir sie lieben (und irgendwo her schon kennen ) Ich denke, wir haben uns eine kleine Erholung von den ernsten Briefen in diesem Thread verdient. Viele Grüße balf_de |
| | | Kontrollratjunkie Moderator
| Thema: Re: Social Philately Mo Nov 28, 2011 11:52 pm | |
| - balf_de schrieb:
-
............. allein was die politisch beeinflussten sozialen Aspekte anbetrifft, lassen sich bestimmt auch aus der Zeit zwischen den Kriegen, aus den ersten Nachkriegsjahren (@Kontrollratjunkie!) oder aus der Zeit des kalten Kriegs – Postkrieg! – relevante Beispiele finden.
Zu diesem sehr interessanten Thread möchte ich dann auch einmal etwas beitragen. Es ist zwar kein Beleg des kalten Krieges, aber um Kälte geht es auch. Und zwar um den strengen Winter der Jahreswende 1946 / 1947. Aber lest selber..... Offenbar hatte man damals mit erheblichen Schneemassen zu kämpfen. Dazu noch die sicher nicht perfekten infrastrukturellen Bedingungen. Vermutlich war das Reisen im März 1947 relativ beschwerlich. Gruß KJ |
| | | Kontrollratjunkie Moderator
| Thema: Re: Social Philately Di Nov 29, 2011 12:17 am | |
| Lieber Alfred, wenn ich das Thread - Thema richtig verstanden habe, sollen hier keine geschäftlichen Briefinhalte gezeigt werden ? Obwohl doch auch solche Briefschaften durchaus "Soziales" beinhalten können. Auch Gewerbe- und Industriegeschichte hat doch auch im engeren Sinne mit der sozialen Entwicklung eines Landes oder einer Gemeinschaft zu tun. Ich stelle hier noch ein Beispiel aus meiner Sammlung ein, allerdings ein "etwas" älteres Beispiel eines Bedarfsbriefes. Es handelt sich um einen Brief aus Bayern vom 21.08.1863. Vermutlich geht es hier um etwas Geschäftliches, zumindest war der Empfänger eine Spinnerei. Vielleicht hat jemand Lust, sich einmal am handgeschriebenen Inhalt zu versuchen. Wenn dieses Beispiel nun völlig neben der Spur liegt, bitte ich um Nachsicht. Gruß KJ |
| | | balf_de Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately Di Nov 29, 2011 1:41 pm | |
| Hallo Kontrollratjunkie! - Kontrollratjunkie schrieb:
- wenn ich das Thread - Thema richtig verstanden habe, sollen hier keine geschäftlichen Briefinhalte gezeigt werden ?
Nicht richtig – Du weißt es besser … - Kontrollratjunkie schrieb:
- Obwohl doch auch solche Briefschaften durchaus "Soziales" beinhalten können. Auch Gewerbe- und Industriegeschichte hat doch auch im engeren Sinne mit der sozialen Entwicklung eines Landes oder einer Gemeinschaft zu tun.
Und ob: und zwar sind solche Belege zumindest ebenso wichtig wie das politische Umfeld. Ich denke in erster Linie an Heimatsammlungen, wo man das Stichwort „Social Philately“ am besten darstellen könnte. Und da spielen genau die von Dir angesprochenen Möglichkeiten sicher die Hauptrolle. - Kontrollratjunkie schrieb:
- Ich stelle hier noch ein Beispiel aus meiner Sammlung ein, allerdings ein "etwas" älteres Beispiel eines Bedarfsbriefes.
Gib zu, das etwas ältere Beispiel hast Du mir zu liebe ausgesucht: Du wolltest mich mit meinen Bemühungen, hier etwas Altdeutschland-Flair zu verbreiten, nicht alleine lassen. (Oder wolltest Du den kürzlich geäußerten Verdacht einer „Zeppelinbande“ widerlegen?) Jedenfalls hat Dein Brief auch eine „klassische“ Stellungnahme verdient: Ein schöner Beleg für die Beförderung im Bereich des DÖPV aus Bayern nach Baden im 2. Rayon (10-20 Meilen). Frankiert mit einer einwandfreien 6 Kr.-Marke MiNr. 10, entwertet mit dem offenen Mühlradstempel 298 (?) aus Lindau. - Kontrollratjunkie schrieb:
- Vielleicht hat jemand Lust, sich einmal am handgeschriebenen Inhalt zu versuchen. .
O.K.: es geht darum, dass die Spinnerei Lauffenmühle ihrem Lindauer Kunden offenbar die Preise erhöht hat – vermutlich hat sie es so geschafft, auch heute noch im Geschäft zu sein. Jedenfalls ist der Kunde – von dem ich nicht weiß, ob er als Einzelhändler das Garn weiterverkaufen oder es verarbeiten wollte -, mit der Preiserhöhung nicht einverstanden und will seinen Auftrag stornieren. Ein Problem habe ich mit den Kürzeln, die wohl im Geschäftsverkehr gängig waren und verstanden wurden. Spinnerey Lauffenenmühle (bei) Thiengen Lindau 21. August 1863 In höflicher Erwiederung Ihres geehrten vom 19. D. M. habe ich Ihnen zu sagen: Wenn Sie mir die gewünschten Garne No 20 .. 120 (Loth?) blau a 71 Kreuzer 20 .. 160 grau a 64 Kreuzer 30 .. 40 blau a 75 Kreuzer 12 .. 20 blau a 63 Kreuzer zu gewährten Conditionen nicht senden wollen, ich höher dieselben nicht brauchen kann; zu diesem Preis wurden obige Garne an mich bestellt, umsonst wollte ich meine alten Kunden gerne bedienen, aber darauf zu zahlen bin ich nicht gesonnen. Wenn ich in 4 Tagen keine Antwort erhalte, so nehme ich an, dass Sie diesen Auftrag gestrichen haben. Hochachtungsvoll grüßend I.G. Grehser - Kontrollratjunkie schrieb:
- Wenn dieses Beispiel nun völlig neben der Spur liegt, bitte ich um Nachsicht.
Völlig daneben gibt es gar nicht, aber als ganz typisches Beispiel für „Social Philately“ würde ich den Brief nicht bezeichnen – posthistorisch gefällt er mir noch besser! Viele Grüße balf_de |
| | | Kontrollratjunkie Moderator
| Thema: Re: Social Philately Di Nov 29, 2011 4:28 pm | |
| Hallo balf_de, - balf_de schrieb:
- Gib zu, das etwas ältere Beispiel hast Du mir zu liebe ausgesucht: Du wolltest mich mit meinen Bemühungen, hier etwas Altdeutschland-Flair zu verbreiten, nicht alleine lassen. (Oder wolltest Du den kürzlich geäußerten Verdacht einer „Zeppelinbande“ widerlegen?)
Ja und ja. Ich dachte mir auch, ein kleines altes Brieflein würde Dir vielleicht besser gefallen, als modernere Belege aus der Nachkriegszeit. Vielen Dank für Deine Beschreibung des Laufweges und natürlich des Inhaltes. Da bekommt so ein Stück gleich einen anderen Hintergrund und man erhält den Einblick in alte vergangene Zeiten der Spinnereiwirtschaft. Preistreiberei gab es also auch schon vor 150 Jahren.... - balf_de schrieb:
-
Völlig daneben gibt es gar nicht, aber als ganz typisches Beispiel für „Social Philately“ würde ich den Brief nicht bezeichnen – posthistorisch gefällt er mir noch besser!
Das freut mich sehr und spornt an, noch weiter zu graben. Irgend etwas Schönes muss sich doch noch finden lassen..... Mir gefällt der Brief auch sehr gut, wie immer hat mich auch die gute Erhaltung überzeugt. Liebe Grüße KJ |
| | | Polarfahrtsucher Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately Fr Dez 02, 2011 3:08 pm | |
| Hallo, ich muss zugeben dieses Thema „Social Philately“ ist wirklich spannender als zuerst vermutet. Hab mich mal auf die Suche gemacht welche Belege hier passen würden. Habe diesen beiden Postkarten gefunden, die wie ich finde sehr interessant in Bezug auf die deutsch/österreichische Geschichte sind. Zwar keine besonderen Sondermarken, keine bekannten Persönlichkeiten allerding die Kombination der beiden Stempel machen dieses Paar so interessant: Postkarte mit österreichischer Marke abgestempelt am 11.3.1938 mit Schuschnigg Wahlaufruf Sowie eine Karte mit neuer deutscher Sondermarke zur Eingliederung Österreichs enwertet am 8.4.1938 mit Wahlaufruf der Gegenseite. Den Text kann ich nicht genau entziffern, vor allem bei der 2. Karte, allerdings denke ich sagen die Stück auch so schon einiges aus. Was haltet ihr davon? Ist hier "Social Philately" angebracht? Schönen Gruss Klaus |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately Sa Dez 03, 2011 9:39 pm | |
| - Polarfahrtsucher schrieb:
- Hallo,
ich muss zugeben dieses Thema „Social Philately“ ist wirklich spannender als zuerst vermutet. Hab mich mal auf die Suche gemacht welche Belege hier passen würden. Habe diesen beiden Postkarten gefunden, die wie ich finde sehr interessant in Bezug auf die deutsch/österreichische Geschichte sind. Zwar keine besonderen Sondermarken, keine bekannten Persönlichkeiten allerding die Kombination der beiden Stempel machen dieses Paar so interessant: Postkarte mit österreichischer Marke abgestempelt am 11.3.1938 mit Schuschnigg Wahlaufruf
Sowie eine Karte mit neuer deutscher Sondermarke zur Eingliederung Österreichs enwertet am 8.4.1938 mit Wahlaufruf der Gegenseite.
Den Text kann ich nicht genau entziffern, vor allem bei der 2. Karte, allerdings denke ich sagen die Stück auch so schon einiges aus.
Was haltet ihr davon? Ist hier "Social Philately" angebracht?
Ich denke schon, dass hier die Bezeichnung "Social Philately" angebracht ist - möchte aber dazu den Hintergrund etwas genauer erläutern: Reichskanzler Adolf Hitler forderte von Österreich im Februar 1938 – unter Androhung des Einmarsches der Wehrmacht – die Aufhebung des NSDAP-Verbots und die Beteiligung der österreichischen Nationalsozialisten an der Regierung. Bundeskanzler Schuschnigg beugte sich dem Diktat. Wenig später versuchte er aber doch noch, den baldigen Anschluss an Deutschland zu verhindern: mit einer überraschend angekündigten Volksabstimmung für ein freies, unabhängiges, deutsches und christliches Österreich, angesetzt für den 13. März 1938. Zu dieser Abstimmung kam es aber nicht mehr – denn dieser Provokation kam Adolf Hitler zuvor: Der österreichische Bundespräsident Miklas wurde durch Drohungen aus Berlin veranlasst, am Abend des 11. März den Nationalsozialistischen Innenminister Seyß-Inquart zum neuen Bundeskanzler zu bestellen. Parallel dazu übernahmen NSDAP-Anhänger in den Landeshauptstädten die Macht. Am 12. März ließ Hitler die Wehrmacht in Österreich einmarschieren. Die völlig reibungslose, zum Teil bejubelte Machtübernahme veranlasste ihn aber, am 13. März den sofortigen Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich zu verkünden. In Österreich wurde das Anschlussgesetz vom 13. März 1938 von der NS-Bundesregierung beschlossen Den Anschluss ließ Hitler nachträglich, am 10. April, durch eine Volksabstimmung bestätigen (offizielles Ergebnis: 99,73 % dafür). Bis dahin waren rund 8 % der Wahlberechtigten bereits von der Wahl ausgeschlossen worden (Juden, „Mischlinge“, verhaftete Gegner der Nationalsozialisten). Plakatwerbung für die Volksabstimmung am 10. April - "für ganz begriffstutzige Wachauer" Herzliche Sammlergrüße Gerhard |
| | | Polarfahrtsucher Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Dez 04, 2011 9:58 am | |
| Hallo, vielen Dank Gerhard für diesen tollen und interessanten Beitrag. Mit diesen Hintergrundinformationen kommen die beiden Karten natürlich viel besser zur Geltung. Immer wieder erstaunlich wie lebendig Geschichte, auch durch "unspektakuläres" Briefmarkensammeln werden kann.
Vielen Dank Klaus |
| | | Ottakring 0beiträge
| Thema: Re: Social Philately So Dez 04, 2011 5:30 pm | |
| Ich finde, dass hier ein ausgesprochen interessantes Thema angesprochen wird. Allerding glaube ich, dass es notwendig ist zu unterscheiden ob es sich um ein Zeitdokument (wie z.Bsp. die Stempel zum Aufruf politischer Aktionen sind, wie gezeigt) handelt oder ob es sich um Belege mit zeitgeschichtlichem Inhalt dreht. Zum besseren Verständnis werde ich später in einem zweiten Beitrag einen Brief aus dem Jahre 1842 zeigen und erklären. Zu Ausstellungsargumenten kann ich als Aussteller mit internationaler Erfahrung sagen, dass man nicht immer unter dem Aspekt der Ausstellung sammeln sollte. Es gibt durchaus interessante Briefinhalte mit zeitgeschichtlichen wertvollen Informationen, die die damaligen Verhältnisse quasi „aus erster Hand“ schildern, ohne dass es sich besondere wertvolle philatelistische Belege handelt.
Doch nun zum Beitrag von Klaus: Die Texte der Karten „übersetze“ ich wie folgt (Irrtum vorbehalten):
Sehr geehrter Herr Baron, mit ganz besonderer Freude nehme ich ihre liebe Karte in Em- pfang. Ich danke Ihnen herzlich für die aufrichtige Teilnahme an dem Heimgang meiner unvergesslichen lieben Schwester.- Sie lebt in mir noch weiter. Erlaube mir Ihnen sowie Frl. Baronesse viele Grüße aus Innsbruck zu senden. Quer geschrieben Absender und Adresse
Innsbruck, 8..38 Lieber Franz, leider war es mir bisher nicht möglich deinen lb. Brief zu beantworten. Nun will ich deinen Wunsche nachkommen und dir die gewünschten Marken senden. K… hatte ich vor einer Woche eine Karte mit einer Glückwunschmarke gesandt und sie gebeten, sie möge sie mir schicken, doch bis heute habe ich noch keine Post bekommen.
Zuletzt von Ottakring am Do Dez 15, 2011 10:00 pm bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet |
| | | Polarfahrtsucher Mitglied in Bronze
| Thema: Re: Social Philately So Dez 04, 2011 6:57 pm | |
| Hallo, vielen Dank Günter für die Übesetzung. Schon bewundernswert wie ihr es schafft die Texte zu entziffern! Warte gespannt auf deinen genannten Beitrag!
Schönen Gruss Klaus |
| | | Gerhard Admin
| Thema: Re: Social Philately Di Dez 06, 2011 12:01 am | |
| - Polarfahrtsucher schrieb:
- Hallo,
ich muss zugeben dieses Thema „Social Philately“ ist wirklich spannender als zuerst vermutet. Hab mich mal auf die Suche gemacht welche Belege hier passen würden. Habe diesen beiden Postkarten gefunden, die wie ich finde sehr interessant in Bezug auf die deutsch/österreichische Geschichte sind. Zwar keine besonderen Sondermarken...........
Zu diesem Thema ist eventuell aus philatelistischer Sicht noch die Tatsache erwähnenswert, dass es von der Anschluss-Marke auf der zweiten von @polarfahrtsucher gezeigten Karte zwei Ausgaben gibt. Berliner Druck: 23,5 : 28 mm, gez. 14:13 1/2, mit Wasserzeichen Wiener Druck: 21,5 : 26 mm, gez 12 1/2, ohne Wasserzeichen Herzliche Sammlergrüße Gerhard
Zuletzt von Gerhard am Di Dez 06, 2011 12:12 am bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet (Grund : reine Nazi-Propaganda habe ich im Markenbild gepixelt) |
| | | Ottakring 0beiträge
| Thema: Briefe aus früheren Zeiten Mi Dez 14, 2011 5:56 pm | |
| Zu dem Thema Social Philatelie möchte ich zwei Briefe und deren Inhalt zeigen. Der erste Brief von Wien nach Linz, der philatelistisch keine Besonderheit ist. Er wurde am 2. April 1838 in Wien abgeschickt und der Empfänger mußte 8 Kreuzer Porto bezahlen. Der Inhalt geht meiner Meinung über die übliche Geschäftskorrespondenz weit hinaus. Da der Druck in „lesbarer“ Schrift erfolgte, kann sich jeder interessierte Leser selbst eine Meinung bilden. Ich würde mich über eure Kommentare freuen.Viele Grüße Günter Den zweite Brief stelle ich in Kürze ein |
| | | Ottakring 0beiträge
| Thema: Der zweite Brief Do Dez 15, 2011 9:57 pm | |
| Der zweite Brief ist aus der gleichen Korrespondenz von Wien nach Linz. Diesmal wurde der Brief aber in Hamburg geschrieben und erst in Wien zur Post gebracht. Wie beim ersten Brief hatte der Empfänger 8 Kreuzer Porto zu bezahlen. Warum wurde der Brief erst in Wien aufgegeben? Der Briefinhalt gibt Aufschluss. Es wird über den großen Brand in Hamburg 1842 berichtet (siehe auch wikipedia „Hamburg Brand“). Um alle Geschäftspartner zu informieren, wie der Brand wütete und welche Schäden entstanden aber auch, dass es dem Handelshaus möglich ist, weiterhin Ware zu liefern, wurde ein ganzes Paket von Drucksachen von Hamburg nach Wien geschickt und erst dort (zur Einsparung von Porto) zur Post gegeben. Da der Inhalt nicht leicht lesbar ist, habe ich im Folgenden eine „Übersetzung“ angefügt. Ich glaube, ein solcher Bericht „aus erster Hand“ ist ein sehr schönes Zeitdokument und passt in die Rubrik. Der TextObgleich nicht zweifelnd, daß die Kunde von der bedeutenden Feuersbrunst, welche vom 5. bis 8. Mai in unserer Stadt wütete, durch öffentliche Blätter Ihnen schon zugekommen ist, erlauben wir uns dennoch das Nähere, streng Wahre, zu berichten. Das Feuer brach am Morgen des 5. Mai bei einem ziemlich heftigen und trockenen Winde in einer enggebauten Gasse aus und verbreitete sich um Mittag desselben Tages trotz unserer sehr guten Löschanstalten und trotz aller Anstrengung bis zur naheliegenden Nicolai-Kirche, deren Turm Feuer fing und nach einigen Stunden zusammenstürzte. Dadurch ward das Feuer mit reißender Schnelligkeit weiter geführt, erreichte das Rathaus, die alte Börse, endlich auch die Petri-Kirche und bahnte sich, obgleich von vielen Seiten Häuser gesprengt und demoliert wurden, einen Weg bis zur Promenade und dem Alsterrsee, wo es endlich unter Gottes Beistand am 8. Mai Nachmittags 2 Uhr sein Ziel fand und ist seitdem jede weitere Gefahr gottlob glücklich und vollständig beseitigt. Die öffentliche Ruhe ist kräftig aufrecht erhalten und haben wir uns der Unterstützung aller benachbarten Regierungen zu erfreuen gehabt. Eine auch nur annähernde Ermittlung des Schadens ist bisher unmöglich gewesen, jedenfalls ist derselbe sehr bedeutend, beschränkt sich jedoch zum größten Teil auf den Wert der Privat und öffentlichen Gebäude, da die abgebrannten Gassen nur zum kleinen Teil vom Handelsstand bewohnt waren oder Warenläger enthielten. Daß der bei weitem größte Teil der Assekuranz Companien zahlungsfähig ist, leidet keinen Zweifel, auch ist dies bereits von mehreren derselben nachgewiesen. Im eigentlichen Handelsverkehr wird also keine Stockung eintreten. Der Hafen und alle dahin gehörigen Einrichtungen, der größte und reichste Teil der Warenläger sind ganz unversehrt geblieben, der ganze bare Fonds unserer Bank ist im feuerfesten Gewölbe vollkommen erhalten und bewahrt und es findet kein merklicher Mangel im Umsatz-Kapital-Markt, so daß der Diskonto nicht höher als 4 % ist, wozu gestern reichlich Geld. Mit Gottes Hilfe wird also Hamburg auch diesen schweren Schlag des Schicksals nach und nach verschmerzen und namentlich wird die Solidarität unserer Börse sich auch unter diesen Umständen aufs Neue beweisen. Was uns selbst anbetrifft, so ist unser Haus und Warenlager gänzlich verschont geblieben, da es durch einen breiten Kanal vom brennenden Stadtteil getrennt ist. Wir haben daher keine Verluste zu beklagen und sind im Stande, unser Geschäft ganz wie bisher fortzuführen ohne irgend eine Störung. Im Waren-Geschäft sind seit unserem letzten Bericht keine besonders wichtigen Veränderungen vorgefallen. Seit einigen Tagen sind die durch den herrschend gewesenen Ostwind zurückgehaltenen Schiffe endlich in großer Zahl angekommen, darunter mehrere von Triest, Messina, New York , England etc., deren Zuladung aber noch unbekannt. Vom Comptoir wird bis Juli noch einiges erwartet, so Punise fest, Balsam Coprio 16, Cassia lignea 10 ¼ : 10 ½ , Rhabarber, sehr gefragt und ohne neue Zufuhr. Indem wir uns des Weiteren bis zum nächsten Bericht in einigen Tagen vorbehalten, und uns Ihrem ferneren gütigen Wohlwollen bestens empfehlen, zeichnen wir mit Hochachtung ergebenst N.S.: Zwei soeben von Batavia angekommenen Schiffe bringen 600 Ballen Pfeffer, 730 S Cursumey, 88 Kisten Gy Damar, 120 Ballen Cassia vera, 200 Kisten Cassia lignea, 49 S Cubeben, 13 Faß Tamarinden, 50 Kisten Sago, ferner 1 S von Para, 100 Pf. Cacao, 40 Bali Copau, 200 Rollen Sassaparill, 100 Körbe Oleander. |
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