Geschätzt bei jungen Paaren, missbraucht von Neonazis: Die selbst gestaltete Briefmarke soll den Deutschen die Freude am Schreiben wiederbringen
Ein Kinderbild von Adolf Hitler haben sie noch gefunden. Aber Rudolf Heß ist den Postbeamten durchgerutscht. 20 Briefumschläge mit dem Foto des verurteilten Kriegsverbrechers und Hitler-Stellvertreters schickte die Post einem ungenannten Auftraggeber. Der hatte die Post genarrt und ihr Angebot "Plusbrief Individuell" zur Propaganda missbraucht. Peinliche Pannen wie diese sollen nun nicht mehr vorkommen, verspricht die Post.
Rund ein Dutzend Beschäftigte prüften jetzt noch genauer, was die Kunden ihnen als Briefmarke abkaufen wollen, beteuert ein Post-Sprecher. Jeder Briefeschreiber kann hier sein eigenes Porto gestalten. "Dabei ist uns zum Beispiel das Kinderfoto von Hitler aufgefallen. Aber wir wissen auch, dass es keine hundertprozentige Kontrolle und Sicherheit gibt", sagt der Sprecher. Dass die Heß-Briefmarke durchkam, sei höchst bedauerlich, aber ein Einzelfall. "Unser Filter wird immer präziser", macht der Sprecher sich und den Post-Kollegen Mut. Die Zahl der dafür abgestellten Mitarbeiter sei angemessen, um "das Gröbste zu verhindern".
Ihr Angebot an Privatkunden und kleine Gewerbetreibende bewirbt die Post auch mit TV-Spots. Die Preise beginnen für Kleinserien von 20 Stück bei rund 36 Euro für Briefkuverts mit individueller Gestaltung sowie Briefporto. Bei größeren Stückzahlen sinkt der Preis deutlich: 1000 Stück kosten noch 41 Cent je Umschlag, bei 10 000 Stück sind es 17 Cent.
Zahlen über den Erfolg der Aktion nennt die Post nicht. Der Konzern verdiene jedoch an dem Angebot, heißt es. Besonders häufig gehen diese Wünsche bei der Post ein: Hochzeiten werden gerne als Anlass genutzt, um Einladungen mit Bild des Brautpaares an die Gäste zu verschicken. Auch beliebt ist die Briefmarke von Eltern, die wenige Stunden nach der Geburt müde lächelnd Tochter oder Sohn auf dem Arm halten und dies nun per Post mitteilen wollen.
Oft sind Gefühle ein Anlass. "Dem Partner Briefe mit dem gemeinsamen Bild zu schicken, lässt die Tradition des Liebesbriefe Schreibens wieder aufflammen", nennt der Post-Sprecher einen weiteren Favoriten. Kleine Geschäfte wiederum machen per individueller Briefmarke mit einem Firmenbild auf sich aufmerksam. Sie hoffen, dadurch aus dem Berg der täglichen Werbepost herauszuragen.
Politische Aussagen sind für die Post tabu, ebenso Pornografie oder Gewaltverherrlichung. Immer ist es aber Auslegung, was die Prüfer durchlassen. "Bei einem Foto von einem nackten Baby fragen wir die Eltern schon einmal, ob nicht ein Foto im Strampler die bessere Wahl ist", sagt der Post-Sprecher. Die Sorge ist groß, dass solch ein Bild in der Szene der Pädophilen missbraucht werden könnte. Ohnehin fragt die Post jeden Kunden, ob er das Recht am Briefmarken-Bild besitzt. Alles kann abgelehnt werden, auch ohne Begründung.
Das Ganze funktioniert nach Post-Angaben recht einfach: Über die Internetseite
www.plusbrief-individuell.de wählen Kunden ihre Briefumschläge zusammen mit dem notwendigen Porto aus. Danach lädt der Kunde sein Wunschbild auf die Internetseite und setzt es in die Briefmarke ein. Ebenso funktioniert die Gestaltung der oberen linken Fläche auf dem Briefkuvert. Das Angebot gibt es ausschließlich über das Internet. Sechs Tage später, verspricht die Post, kommen die Umschläge ins Haus.
Leicht skeptisch schauen Briefmarkensammler auf die Neuerung. "Die Sammler müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie dieses Sammelgebiet nie komplett haben können", sagt Dieter Hartig, Präsident des Bundesverbandes Deutscher Philatelisten. Einen Trost haben sie: Schließlich handele es sich dabei gar nicht um Briefmarken im engeren Sinne. "Was da auf den Briefen aufgedruckt ist, nennen wir einen Wertzeicheneindruck", sagt Hartig. Was fehlt, ist der Zusatz "Deutschland" auf der Marke, womit erst ein echtes Postwertzeichen daraus würde. Im Ausland gebe es derlei schon längst. Ein wirkliches Ärgernis sei der individuelle Brief nicht, sagt der Sammlerpräsident.
Schließlich ist auch ihm die Zukunft des Briefs ein Anliegen. Die Menge an Briefen sinkt jedes Jahr. E-Mails oder SMS-Nachrichten machen dem Brief Konkurrenz. Knapp 21 Milliarden Briefe hat die Deutsche Post 2007 zugestellt, darunter 1,3 Milliarden von Privatkunden. "Wir wollen die Postdienstleistungen durch elektronische Medien aufpäppeln, damit wieder mehr private Briefe geschrieben werden", sagt der Post-Sprecher.
Für manchen Briefeschreiber mag es ein erhabenes Gefühl sein, mit dem Bundespräsidenten oder mit Papst Benedikt XVI. in einer Reihe zu stehen: Nur sie haben persönliche Briefmarken der Post bekommen. Lebende Personen dürfen nämlich nicht auf Postwertzeichen verewigt werden, schreibt das zuständige Bundesfinanzministerium vor. Der Bundespräsident sowie der Papst bilden die Ausnahme.
Die Prüfung, was die Post als Motiv für neue Briefmarken nehmen darf, ist ungleich komplexer als beim Internet-Angebot. Ein Beirat im Finanzministerium entscheidet darüber. Dort sind nahezu alle gesellschaftlichen Gruppen vertreten. Der Proporz aus Politik, Kirche und Gesellschaft soll gewahrt bleiben.
Der Aufwand hat aber auch sein Gutes: Höchst peinliche Briefmarken bleiben der Post erspart.
welt.de